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Loreley

Titel: Loreley
Autoren: Kai Meyer
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Wortwahl wurde noch förmlicher. »Gerne würde ich Euch die Hand reichen, um den Handel zu besiegeln, und, glaubt mir, in so mancher Winternacht habe ich mir ein warmes Feuer und ein Dach über dem Kopf mehr gewünscht als den Seele n frieden meiner Mutter.«
    »Aber?«, fragte Graf Wilhelm.
    »Ich kann Euer Angebot nicht annehmen, Herr.«
    Die Augen des Grafen verengten sich lauernd. »Natü r lich bedauerst du diese En t scheidung zutiefst, nicht wahr? Du willst nämlich nicht undankbar sein. Ist es nicht so?«
    »Herr«, sagte der Lange Jammrich eilig, »wenn es scheint, als wüsste ich Eure Großzügigkeit nicht zu wü r digen, so bitte ich Euch um Verzeihung. Aber ich bin für Aufgaben, wie Ihr sie mir zugedacht habt, nicht gescha f fen.«
    Von ihrem Versteck aus schaute Fee verwirrt von e i nem der Männer zum anderen. Weder hatte sie erwartet, dass der Lange Jammrich ein so verlockendes Angebot au s schlagen würde, noch hatte sie damit gerechnet, ihren Onkel darüber so zornig zu s e hen. Sie selbst war froh, dass der Spielmann nicht darauf einging – sein lockeres Mundwerk war ihr zuwider, und ihn Tag für Tag um sich zu haben war ein schreckl i cher Gedanke. Sie hatte ihm seine freche Zudringlichkeit im Hof noch lange nicht verziehen. Aber warum, um alles in der Welt, blickte ihr Onkel drein, als würde er dem Langen Jammrich jeden Augenblick den Kopf abschlagen lassen?
    »Ich habe vielleicht zu große Hoffnungen in dich g e setzt, Spielmann«, sagte der Graf, um seine Beher r schung bemüht. »Du enttäuschst mich.«
    »Das tut mir Leid, Herr. Aber ich wäre Euch kein g u ter Diener. Es liegt mir nicht, anderen Heldentaten auf den Leib zu schreiben.«
    »Spott dagegen läuft dir recht gut von der Feder, wie ich hörte.«
    Fee hatte das ungute Gefühl, dass dieses Gespräch ein schlimmes Ende nehmen würde. Schlimm für den La n gen Jammrich, ohne Zweifel, aber verheerend auch für die Laune ihres Onkels. Sie liebte ihn und war ihm dankbar für alles, was er seit dem Ve r schwinden ihres Vaters für sie getan hatte, aber sie wusste auch, dass er im Zorn unb e rechenbar sein konnte. Das geschah selten, doch wenn es erst soweit war – nun, Burg Rheinfels würde in den nächsten Tagen kein Ort des Frohsinns sein. Der Graf verabscheute es, zurückgewiesen zu we r den, auch dann, wenn der Schuldige ein alberner Bä n kelsänger war. Fee vermutete, dass ihr Onkel schon sehr lange mit dem Gedanken gespielt hatte, einen Leibm u sikanten zu b e schäftigen – es gehörte dieser Tage unter den Edelleuten zum guten Ton –, und der Lange Jam m rich musste es ihm besonders angetan haben. Wer weiß, dachte Fee, vielleicht hat er schon vor anderen mit ihm geprahlt. Das wäre in der Tat ärgerlich für ihn und se i nen Ruf.
    »Ich bin gewiss manches Mal ein Spötter gewesen«, sagte der Lange Jammrich vo r sichtig. »Mag sein, dass ich das eine oder andere Mal über die Stränge geschlagen habe. Aber ich war in meiner Kunst immer ehrlich und habe das getan und gesagt, was ich für richtig hielt. Und daher glaubt mir, Herr, ich wäre kein guter Chronist E u res Heldenm u tes.«
    Der Graf sprang auf, bar jeder Zurückhaltung. »Was willst du damit sagen?«
    »Nichts, Herr. Ich – «
    »Du Hundsfott!«
    Der Lange Jammrich war sichtlich bemüht, keine Furcht zu zeigen. Bei jedem anderen mochte das ein g u ter Plan sein, dachte Fee, doch ihren Onkel würde er d a mit nur noch wütender machen. Sie mochte den Spie l mann nicht, doch sie wünschte ihn auch nicht an den Pranger. Die Grausamkeit eines Herrschenden, sogar dann, wenn sie vo n nöten sein mochte, verursachte ihr Ekel und Abscheu.
    »Euer Mut und Eure Tapferkeit sind unbestritten, Herr Graf«, sagte der Lange Jammrich. Seine Hände krallten sich um die hölzernen Armlehnen seines Stuhls. »Aber Ihr würdet mit der Zeit weit mehr von mir verlangen, als nur Eure Verdienste um Ba u ern und Fischer oder den einen oder anderen Zweikampf zu besingen. Ihr würdet mir verbieten, die Hungersnot zu erwähnen, die in den vergangenen Jahren Eure Ländereien heimgesucht hat. Ihr würdet darauf bestehen, Eure Familie und Besitzu n gen als noch bedeutsamer und herrlicher darzustellen als sie es ohnehin schon sind. Und d ann würde der Tag kommen, an dem Ihr verlangt, neue Geschichten um Euch und Euer Schaffen zu erspinnen. Bitte, wide r sprecht nicht, Herr. Der Tag würde kommen. Nicht mo r gen, nicht nächste Woche, aber vielleicht schon in einem Jahr. Euer Angebot ist nicht
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