Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
Sonnabenden im Tempel.
    Wie schön er war! Ich sollte es nicht sagen, aber gewiß war ich niemals einem so harmonischen, sanften Wesen mit einer so vollkommenen Gestalt und einer so zarten Stimme begegnet. Ich konnte ihn kaum anschauen; jedesmal, wenn meine Augen sich auf seine zarten Wangen, auf seine glatte Stirn oder auf die langen Wimpern der großen Augen voll Güte und Weisheit hefteten, spürte ich die Wärme der Morgenröte in meinem Gesicht aufsteigen. War es das, was die Mädchen am ganzen Körper fühlen, wenn sie sich verlieben? Diese Hitze, die nicht von außen kommt, sondern aus dem Innern des Körpers, aus der Tiefe des Herzens? Meine Freundinnen aus dem Dorf sprechen oft davon, ich weiß das, aber wenn ich mich ihnen nähere, verstummen sie, weil sie wissen, daß ich sehr schüchtern bin und mich gewisse Dinge – die Liebe zum Beispiel – so sehr verwirren, daß mein Gesicht hochrot wird und ich zu stottern beginne. Ist es schlecht, so zu sein? Esther meint, daß ich durch meine Verzagtheit und Scham niemals erfahren werde, was Liebe ist. Und Deborah versucht stets, mich zu ermutigen: »Du mußt dir ein Herz fassen, oder dein Leben wird traurig sein.«
    Aber der rosige Jüngling sagte, daß ich die Auserwähltesei, daß man unter allen Frauen mich bestimmt habe. Wer? Wozu? Warum? Was habe ich Gutes oder Schlechtes getan, daß jemand mir den Vorzug gibt? Ich weiß sehr genau, wie wenig ich wert bin. Im Dorf gibt es schönere und tüchtigere, stärkere, aufgeklärtere und tapferere Mädchen. Weshalb sollte man also mich auswählen? Um meiner größeren Zurückhaltung und Ängstlichkeit willen? Um meiner Geduld willen? Weil ich mich gut mit allen vertrage? Weil ich so liebevoll unsere kleine Ziege melke und mir die einfachen, alltäglichen Verrichtungen wie der Hausputz, die Gartenpflege und die Zubereitung des Essens für meine Eltern solche Freude verursachen? Ich glaube nicht, daß ich andere Verdienste besitze, wenn es denn überhaupt Verdienste sind und nicht Mängel. Deborah sagte mir einmal: »Dir fehlt es an Ehrgeiz, Maria.« Vielleicht stimmt das. Was soll ich tun, wenn ich so geboren bin: mir gefällt das Leben, und die Welt erscheint mir schön, wie sie ist. Deshalb sagt man vielleicht, ich sei einfach. Wahrscheinlich stimmt das, denn Komplikationen habe ich stets vermieden. Aber ein paar Wünsche habe ich doch. Zum Beispiel, daß meine kleine Ziege niemals stürbe. Wenn sie mir die Hand leckt, denke ich, daß sie eines Tages sterben wird, und dann krampft sich mir das Herz zusammen. Es ist nicht gut zu leiden. Ich wünschte auch, niemand müßte leiden.
    Der Jüngling sagte widersinnige Dinge, aber er sagte sie so melodiös und ohne Falsch, daß ich nichtzu lachen wagte. Daß ich benedeit sei, ich und die Frucht meines Leibes. Das sagte er. Ob er vielleicht ein Zauberer war? Ob er wohl mit diesen Worten eine Zauberformel für oder gegen etwas oder jemanden sprach? Ich konnte ihn nicht danach fragen. Auf seine Worte hin vermochte ich nur zu stammeln, was ich antworte, wenn meine Eltern mich belehren oder tadeln: »Es ist recht, ich werde tun, was mir gebührt, Herr.« Und ich bedeckte mir erschrocken den Leib mit meinen Händen. Die »Frucht meines Leibes«, soll das bedeuten, daß ich ein Kind haben werde? Wie glücklich würde ich sein. Ich wünschte, es wäre ein Junge, so sanft und geheimnisvoll wie der Jüngling, der zu mir kam.
    Ich weiß nicht, ob ich mich über diesen Besuch freuen oder ängstigen soll. Ich ahne, daß mein Leben sich fortan verändern wird. Auf welche Weise? Wird es zu meinem Glück oder zu meinem Unglück sein? Warum spüre ich inmitten der Freude, mit der ich mich der süßen Worte dieses Jünglings entsinne, plötzlich Angst, als täte sich auf einmal die Erde auf und ich erblickte zu meinen Füßen einen Abgrund voll schrecklicher Ungeheuer, in den ich springen muß?
    Er sagte hübsche Dinge, die sehr schön klangen, aber schwer verständlich waren. »Außergewöhnliche Bestimmung, übernatürliche Bestimmung«, unter anderem. Was meinte er damit? Meine Art zu sein bestimmt mich eher für das Gewöhnliche, das Gemeine. Was auffällt oder aus der Reihe tanzt, jede Gebärdeoder Tat, die das Gewohnte oder Normale verletzt, hemmt und entwaffnet mich. Wenn jemand in meiner Gegenwart Maß und Ziel überschreitet und sich lächerlich macht, wird mein Gesicht flammend rot, und ich leide für ihn. Ich fühle mich nur wohl, wenn die anderen keine Notiz von mir nehmen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher