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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Buch auf den Nachttisch, nachdemes zuvor einen Bleistift in die Seite eingelegt hatte. Sein Gesicht hatte einen beleidigten und wehrlosen Ausdruck angenommen.
    »Ich habe niemals behauptet, daß sie mich verdorben hat, Justita!« rief es empört und boxte mit einer Hand in die Luft. »Das hast du erfunden, erzähl mir nichts. Mein Papa hat gesagt, daß sie mich verdorben hat. Ich habe nur diesen Aufsatz geschrieben und erzählt, was wir gemacht haben. Die Wahrheit also. Nichts ist gelogen. Ich bin nicht schuld daran, daß er sie rausgeworfen hat. Vielleicht stimmt es ja, was er gesagt hat. Vielleicht hat sie mich ja verdorben. Wenn mein Papa das sagt, wird es so sein. Warum regst du dich so darüber auf? Wärst du lieber mit ihr weggegangen, statt hierzubleiben?«
    Justiniana lehnte sich mit dem Rücken an das Regal, in dem Alfonso seine Abenteuerbücher, die Wimpel und Leistungsurkunden und die Photographien aus der Schule aufgereiht hatte. Sie schloß kurz die Augen und dachte: ›Ich hätte schon lange gehen sollen, das stimmt.‹ Seit Doña Lukrezias Fortgang war sie von der Vorahnung erfüllt, daß in diesem Haus auch auf sie eine Gefahr lauerte; sie lebte wie auf heißen Kohlen, mit dem beständigen Gefühl, bei der geringsten Unachtsamkeit in eine Falle zu geraten, aus der sie schlimmer herauskäme als die Stiefmutter. Es war unvorsichtig gewesen, dem Kind so die Stirn zu bieten. Sie würde es nie wieder tun. Fonchito war trotz seiner Jahre kein Kind, er war hintertriebenerund undurchschaubarer als alle Erwachsenen, die sie kannte. Und doch: wenn man dieses sanfte kleine Gesicht anschaute, diese puppenhaften Züge, konnte man es kaum glauben.
    »Bist du böse mit mir?« hörte sie es betrübt fragen.
    Es war besser, ihn nicht weiter zu provozieren; es war besser, Frieden zu schließen.
    »Nein, bin ich nicht«, antwortete sie, während sie auf die Tür zuging. »Lies nicht so lange, morgen mußt du zur Schule. Gute Nacht.«
    »Justita.«
    Sie wandte sich um, eine Hand schon auf der Türklinke.
    »Was ist?«
    »Sei nicht böse mit mir, bitte.« Er flehte mit den Augen und den langen zitternden Wimpern; er bat sie mit dem Mund, der zu einer halben Schippe verzogen war, und mit den pulsierenden Grübchen der Wangen. »Ich hab dich sehr lieb. Aber du haßt mich, nicht wahr, Justita?«
    Er sprach, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
    »Ich hasse dich nicht, Dummkopf, wie könnte ich dich hassen.«
    Über ihnen lief das Wasser immer noch mit gleichförmigem Geräusch, unterbrochen von kurzen Wirbeln, und man hörte auch dann und wann die Schritte Don Rigobertos, der im Badezimmer hin und her ging.
    »Wenn es stimmt, daß du mich nicht haßt, dann gib mir wenigstens einen Abschiedskuß. Wie früher, hast du das vergessen?«
    Sie zögerte einen Augenblick, aber dann willigte sie ein. Sie trat an das Bett, beugte sich hinunter und küßte ihn rasch auf die Haare. Aber das Kind hielt sie zurück, schlang ihr die Arme um den Hals und scherzte und alberte mit ihr herum, bis Justiniana ihm gegen ihren Willen zulächelte. Wie er so die Zunge herausstreckte, die Augen verdrehte, den Kopf schüttelte, die Schultern hochzog und fallen ließ, hatte er nichts von dem grausamen, kalten kleinen Teufel, den er in sich trug, sondern war das hübsche Kind, das er von außen schien.
    »So, jetzt Schluß mit den Clownerien und schön geschlafen, Foncho.«
    Sie küßte ihn noch einmal auf die Haare und seufzte. Und obwohl sie sich gerade vorgenommen hatte, daß sie mit ihm nicht mehr über die Sache reden wollte, hörte sie sich hastig sagen, während sie die Goldfäden betrachtete, die ihre Nase kitzelten:
    »Hast du das alles für Doña Eloisa getan? Weil du nicht wolltest, daß jemand deine Mama ersetzt? Weil du es nicht ertragen konntest, daß Doña Lukrezia ihren Platz hier im Haus eingenommen hatte?«
    Sie spürte, wie das Kind steif und stumm wurde, als überlegte es, was es antworten sollte. Dann zwangen sie die kleinen Arme, die er um ihren Hals geschlungen hatte, den Kopf zu senken, so daß der lippenloseMund sich ihrem Ohr nähern konnte. Aber statt ihn das erwartete Geheimnis flüstern zu hören, spürte sie, daß er am Rand ihres Ohres und am Halsansatz knabberte und sie küßte, bis ein Schauer über ihren ganzen Körper lief.
    »Ich hab’s für dich getan, Justita«, hörte sie ihn mit samtener, zärtlicher Stimme flüstern. »Nicht für meine Mama. Damit sie weggeht und wir allein sind, mein Papa, du und ich.
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