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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter
Autoren: Mario Vargas Llosa
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die Stimme Justinianas zu vernehmen, die in der Küchenkammer vor sich hin trällerte, während sie die Waschmaschine in Gang setzte.
    »Papa, was heißt eigentlich Orgasmus?« fragte das Kind plötzlich.
    Don Rigoberto bekam einen Hustenanfall. Er räusperte sich, während er überlegte: Was sollte er antworten? Er versuchte, ein natürliches Gesicht zu machen, und bemühte sich, nicht zu lächeln.
    »Nun, es ist kein unanständiges Wort«, erklärte er vorsichtig. »Natürlich nicht. Es hat mit dem Sexualleben zu tun, mit der Lust. Man könnte vielleicht sagen, es ist der Höhepunkt der körperlichen Lust. Etwas, das nicht nur die Menschen erleben, sondern auch viele Tierarten. Man wird dir bestimmt noch im Biologieunterricht davon erzählen. Vor allem darfst dunicht denken, daß es ein schmutziges Wort ist. Wie bist du denn auf dieses Wort gekommen, mein Kleiner?«
    »Ich hab es von meiner Stiefmutter gehört«, sagte Fonchito. Er verzog spitzbübisch das Gesicht und legte zum Zeichen der Komplizenschaft einen Finger auf den Mund. »Ich hab getan, als wüßte ich, was das ist. Sag ihr jetzt nur nicht, daß du es mir erklärt hast, Papi.«
    »Nein, ich werde es ihr nicht sagen«, murmelte Don Rigoberto. Er nahm noch einen Schluck Whisky und schaute Alfonso forschend an, verwirrt. Was steckte in diesem rotblonden Köpfchen, hinter dieser glatten Stirn? Das sollte einer wissen. Behauptete man nicht, die Seele eines Kindes sei ein unauslotbarer Abgrund? Er dachte: ›Ich darf nicht weiter nachhaken.‹ Er dachte: ›Ich muß das Thema wechseln.‹ Aber der Stachel der Neugier oder die unwillkürliche Anziehungskraft der Gefahr waren stärker, und er fragte ganz beiläufig: »Du hast dieses Wörtchen von deiner Stiefmutter gehört? Bist du sicher?«
    Das Kind nickte mehrere Male, mit der gleichen halb fröhlichen, halb spitzbübischen Miene. Seine Wangen waren gerötet, und in seinen Augen blitzte der Schalk.
    »Sie hat mir gesagt, daß sie einen wunderschönen Orgasmus gehabt hat«, erklärte es mit singender Nachtigallenstimme.
    Dieses Mal fiel Don Rigoberto der Whisky aus denHänden; von der Überraschung gelähmt, sah er zu, wie das Glas über den Teppich mit den bleifarbenen Arabesken rollte, der in seinem Arbeitszimmer lag. Das Kind beeilte sich, es aufzuheben. Während es ihm das Glas reichte, murmelte es:
    »Ein Glück, daß es fast leer war. Soll ich dir ein neues einschenken, Papi? Ich weiß, wie du deinen Whisky magst, ich hab gesehen, wie meine Stiefmutter es macht.«
    Don Rigoberto schüttelte den Kopf. Hatte er richtig gehört? Ja, natürlich: dafür hatte er ja seine großen Ohren. Um die Dinge richtig zu hören. Sein Gehirn hatte zu knistern begonnen wie ein Holzfeuer. Diese Unterhaltung war zu weit gegangen und mußte jetzt endgültig abgebrochen werden, sonst würde irgend etwas ganz Schlimmes, Unwägbares geschehen. Einen Augenblick lang hatte er die Vision eines schönen Kartenhauses, das zusammenstürzte. Er sah mit absoluter Klarheit, was er tun mußte. Es reicht, Schluß, reden wir von etwas anderem. Aber auch dieses Mal war der Gesang der Sirenen aus der Tiefe stärker als sein Verstand und seine Vernunft.
    »Was sind denn das für Erfindungen, Foncho.« Er sprach ganz langsam, aber dennoch zitterte seine Stimme. »Wie kannst du denn so etwas von deiner Stiefmutter gehört haben. Das kann doch nicht sein, mein Söhnchen.«
    Das Kind protestierte zornig mit hocherhobener Hand.
    »Aber ja, Papi. Natürlich hab ich das von ihr gehört. Wenn sie es doch zu mir gesagt hat. Erst gestern nachmittag. Ich geb dir mein Wort. Warum soll ich dich anlügen? Hab ich dich jemals angelogen, ich?«
    »Nein, nein, du hast recht. Du sagst immer die Wahrheit.«
    Er konnte das Unbehagen nicht kontrollieren, das wie ein Fieber von ihm Besitz ergriffen hatte. Es war wie eine dicke dumme Schmeißfliege, die immer wieder gegen sein Gesicht, gegen seine Arme taumelte, ohne daß er sie totschlagen oder ihr ausweichen konnte. Er stand auf, tat ein paar langsame Schritte und schenkte sich einen neuen Whisky ein, etwas recht Ungewöhnliches, denn er trank nie mehr als ein Glas vor dem Abendessen. Als er zu seinem Stuhl zurückkehrte, traf sein Blick sich mit den blaugrünen Augen Fonchitos: sie folgten seinen Bewegungen durch das Arbeitszimmer mit der gewohnten Sanftheit. Lächelnd schauten sie ihn an, und er brachte ebenfalls mühsam ein Lächeln zustande.
    »Ehem, ehem«, räusperte sich Don Rigoberto nach einigen Sekunden
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