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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter
Autoren: Mario Vargas Llosa
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das Kind anzuschauen, das sicherlich noch immer dort stand, am selben Ort, seine Reaktionenbeobachtete, darauf wartete, daß er mit dem Lesen fertig und sagen und tun würde, was er sagen und tun mußte. Was mußte er sagen? Was mußte er tun? Don Rigoberto spürte, daß seine Hände feucht waren. Ein paar Schweißtropfen glitten von seiner Stirn auf das Heft und ließen die Tinte zu unförmigen Flecken verlaufen. Er schluckte, und es gelang ihm zu denken: ›Das Unmögliche begehren hat einen Preis, den man früher oder später zahlen muß.‹
    Er machte eine äußerste Anstrengung, schlug das Heft zu und blickte auf. Ja, da war Fonchito und betrachtete ihn mit seinem schönen, glückseligen Gesicht. ›So muß Luzifer gewesen sein‹, dachte er, während er auf der Suche nach einem Schluck das leere Glas zum Mund führte. Als das Glas gegen seine Zähne klirrte, bemerkte er, wie heftig das Zittern seiner Hand war.
    »Was hat das zu bedeuten, Alfonso?« stotterte er. Ihm taten die Backenzähne weh, die Zunge, der Kiefer. Er erkannte seine eigene Stimme nicht wieder.
    »Was denn, Papi?«
    Er schaute ihn an, als begriffe er nicht, was ihn bewegte.
    »Was bedeuten diese … diese Hirngespinste«, stammelte er aus der entsetzlichen Verwirrung heraus, die seine Seele peinigte. »Bist du verrückt geworden, mein Kleiner? Wie konntest du solche unanständigen Ferkeleien erfinden?«
    Er verstummte, weil er nicht mehr weiterwußteund verärgert und überrascht über seine eigenen Worte war. Das kleine Gesicht des Kindes erlosch und wurde traurig. Es schaute ihn verständnislos an, einen Anflug von Schmerz in den Pupillen, auch von Verwirrung, aber ohne eine Spur von Angst. Schließlich, nach einigen Sekunden, hörte Don Rigoberto es genau das sagen, was er inmitten des Schreckens, der sein Herz zum Erstarren brachte, erwartete:
    »Aber was denn für Erfindungen, Papi. Wo doch alles, was ich erzähle, wahr ist, wo doch alles genauso passiert ist.«
    In diesem Augenblick hörte Don Rigoberto die Haustür aufgehen – in einem zeitlichen Zusammenspiel, das er nur als einen Ratschluß des Schicksals oder der Götter interpretieren konnte – und vernahm die melodiöse Stimme Lukrezias, die den Hausdiener begrüßte. Es gelang ihm zu denken, daß die reiche, ursprüngliche nächtliche Welt freier Träume und Wünsche, die er mit solcher Beharrlichkeit aufgebaut hatte, wie eine Seifenblase zerplatzt war. Und plötzlich sehnte seine malträtierte Phantasie sich verzweifelt nach Verwandlung: er war ein einsames Wesen, keusch, bar von Gelüsten, gegen alle Teufel des Fleisches und des Geschlechts gefeit. Ja, ja, das war er. Der Anachoret, der mohammedanische Heilige, der Mönch, der Engel, der Erzengel, der die himmlische Trompete bläst und in den Garten herabsteigt, um den frommen Mädchen die gute Kunde zu bringen.
    »Hallo, der Herr, hallo, kleiner Herr«, zwitscherteDoña Lukrezia von der Schwelle des Arbeitszimmers her.
    Ihre schneeweiße Hand warf Vater und Sohn ein paar Kußhände zu.

14.
Der rosige Jüngling
    Die Hitze des Mittags hatte mich eingeschläfert, daher hörte ich ihn nicht kommen. Aber als ich die Augen aufschlug, war er da, zu meinen Füßen, in einem rosigen Licht. War er wirklich da? Ja, ich träumte es nicht. Er mußte durch die Hoftür hereingekommen sein, die meine Eltern wohl offengelassen hatten, oder er war über den Zaun des Gartens gesprungen, ein Zaun, den jeder Jüngling mühelos überwindet.
    Wer er war? Ich weiß es nicht, aber ich bin sicher, er war hier, in diesem Gang, kniend zu meinen Füßen. Ich sah ihn und ich hörte ihn. Soeben hat er sich entfernt. Oder sollte ich besser sagen: aufgelöst? Ja: kniend zu meinen Füßen. Ich weiß nicht, weshalb er niederkniete, aber er tat es nicht, um meiner zu spotten. Vom ersten Augenblick an begegnete er mir mit einer solchen Sanftheit und Ehrerbietigkeit, bewies er mir eine so große Achtung und Demut, daß die Angst, die mich erfaßte, als ich so nah bei mir einen Fremden gewahrte, sich verflüchtigte wie der Tau in der Sonne. Wie war es möglich, daß ich keine Furcht empfand, allein mit einem Fremdling? Mit jemandem, der noch dazu auf unbekannte Weise in den Garten meines Heimes gelangt war? Ich begreife es nicht.Aber solange der Jüngling sich hier befand und zu mir sprach, wie man zu einer bedeutenden Frau spricht und nicht zu dem bescheidenen Mädchen, das ich bin, fühlte ich mich beschützter als in Gegenwart meiner Eltern oder an den
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