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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter
Autoren: Mario Vargas Llosa
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lippenloser Mund stand halb offen und entblößte die schneeweiße Reihe der Zähne, die er sich gerade geputzt hatte.
    »Ich rede von Doña Lukrezia, du kleiner Teufel, und du weißt das ganz genau, also tu nicht so«, sagte sie. »Tut es dir nicht leid, was du ihr angetan hast?«
    »Ach, von ihr«, rief das Kind enttäuscht, als erschiene ihm das Thema allzu naheliegend und langweilig.Es zuckte die Schultern und fügte ohne Zaudern hinzu: »Warum sollte es mir leid tun? Wenn es meine Mama gewesen wäre, dann hätte es mir leid getan. War sie es vielleicht?«
    Weder Groll noch Zorn lag in seiner Stimme oder in seinem Gesicht, wenn er von ihr sprach: aber gerade diese Gleichgültigkeit brachte Justiniana auf die Palme.
    »Du hast es geschafft, daß dein Vater sie wie einen Hund aus dem Haus gejagt hat«, murmelte sie matt, tieftraurig, ohne ihm das Gesicht zuzuwenden, die Augen auf das glänzende Parkett geheftet. »Erst hast du sie angelogen und dann ihn. Du hast es geschafft, daß sie sich trennen, wo sie doch so glücklich waren. Du bist schuld daran, daß sie jetzt bestimmt die unglücklichste Frau der Welt ist. Und Don Rigoberto auch. Seit er sich von deiner Stiefmutter getrennt hat, geht er herum wie eine Seele im Fegefeuer. Hast du nicht gemerkt, wie ihn in ein paar Tagen die Jahre eingeholt haben? Auch das macht dir keine Gewissensbisse? Und ein Betbruder und Frömmler ist er geworden, wie ich noch keinen gesehen habe. So werden die Menschen, wenn sie fühlen, daß sie bald sterben. Und an allem bist du schuld, du Räuber!«
    Sie wandte sich dem Kind zu, in der Angst, sie habe mehr gesagt, als klug war. Seit den Ereignissen traute sie nichts und niemandem mehr in diesem Haus. Fonchitos Kopf hatte sich ihr entgegengereckt, und der goldene Lichtkegel der Nachttischlampe umgab ihnjetzt wie eine Krone. Sein Erstaunen schien grenzenlos.
    »Aber ich habe doch gar nichts getan, Justita«, stotterte er blinzelnd, und sie sah, daß sein kleiner Adamsapfel sich wie ein nervöses Tierchen an seinem Hals auf und nieder bewegte. »Ich habe nie jemanden belogen und am allerwenigsten meinen Papa.«
    Justiniana spürte, wie ihr Gesicht brannte.
    »Du hast alle angelogen, Foncho!« sagte sie mit lauter Stimme. Aber sie verstummte und hielt sich den Mund zu, denn in diesem Augenblick begann oben das Wasser im Waschbecken zu laufen. Don Rigoberto hatte seine abendlichen Waschungen in Angriff genommen, die seit Doña Lukrezias Fortgang sehr viel kürzer ausfielen. Jetzt ging er immer früh zu Bett, und man hörte ihn keine Operettenmelodien mehr trällern, während er sich seiner Toilette widmete. Als Justiniana fortfuhr, tat sie es ganz leise, während sie dem Kind mit dem Zeigefinger drohte. »Und mich hast du natürlich auch angelogen. Wenn ich bedenke, daß ich das Märchen geschluckt habe, daß du dich umbringen würdest, weil Doña Lukrezia dich nicht liebhat.«
    Jetzt malte sich plötzlich Empörung im Gesicht des Kindes.
    »Das war nicht gelogen«, sagte es, während es sie am Arm packte und schüttelte. »Das hat gestimmt, genauso war es. Wenn meine Stiefmutter mich weiter so behandelt hätte wie in diesen Tagen, hätte ich mich umgebracht. Das schwör ich dir, Justita!«
    Das Mädchen entzog ihm unwillig ihren Arm und trat vom Bett zurück.
    »Schwör nicht grundlos, Gott kann dich dafür strafen«, murmelte sie.
    Sie trat ans Fenster, und als sie die Vorhänge beiseite schob, sah sie, daß am Himmel einige Sterne leuchteten. Sie betrachtete sie eine Weile erstaunt. Wie seltsam, statt des gewohnten Dunstes diese kleinen, flackernden Lichter zu sehen. Als sie sich umwandte, hatte das Kind nach dem Buch gegriffen, das auf dem Nachttisch lag, rückte sich das Kissen zurecht und schickte sich an zu lesen. Es wirkte wieder ruhig und unbeschwert, in Frieden mit seinem Gewissen und mit der Welt.
    »Sag mir wenigstens eines, Fonchito.«
    Über ihnen lief das Wasser des Waschbeckens mit beständigem, gleichmäßigem Rauschen, und auf dem Dach miauten zwei Katzen, die sich in den Haaren lagen oder es miteinander trieben.
    »Was, Justita?«
    »Hast du alles von Anfang an geplant? Das Getue, daß du sie so liebhast, dann die Sache, daß du aufs Dach gestiegen bist und sie beim Baden beobachtet hast, der Brief, in dem du gedroht hast, dich umzubringen. Hast du das alles gespielt? Nur damit sie dich liebhatte und du sie hinterher bei deinem Vater verpetzen und ihm erzählen konntest, sie würde dich verderben?«
    Das Kind legte das
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