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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter
Autoren: Mario Vargas Llosa
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ominösen Schweigens. Er wußte nicht, was er sagen sollte. War es möglich, daß Lukrezia ihm derart vertrauliche Dinge sagte, daß sie dem Kind erzählte, was sie in den Nächten taten? Natürlich nicht, was für eine dumme Idee. Es waren Hirngespinste von Fonchito, sehr typisch für sein Alter: er entdeckte die Bosheit, es begann die sexuelle Neugier, der aufkeimende Trieb gab ihm Phantasien ein,die ihm erlaubten, Gespräche über das faszinierende Tabu zu provozieren. Das beste war, alles zu vergessen und diesen unangenehmen Augenblick mit Banalitäten zu überspielen.
    »Hast du keine Schulaufgaben für morgen?« fragte er.
    »Ich hab sie schon gemacht«, antwortete das Kind. »Ich hatte nur eine, Papi. Freier Aufsatz.«
    »Ach ja?« beharrte Don Rigoberto. »Und was für ein Thema hast du genommen?«
    Das Gesicht des Kindes rötete sich abermals in unschuldiger Freude, und Don Rigoberto spürte plötzlich panische Angst. Was geschah? Was würde gleich geschehen?
    »Über sie natürlich, Papi, über wen denn sonst.« Fonchito klatschte in die Hände. »Ich hab ihm den Titel gegeben: Lob der Stiefmutter. Wie findest du ihn?«
    »Sehr schön, ein guter Titel«, antwortete Don Rigoberto. Und er fügte mit einem gekünstelten Lachen hinzu, fast ohne nachzudenken: »Wie der Titel eines erotischen Romans.«
    »Was heißt erotisch?« erkundigte sich das Kind mit großem Ernst.
    »Bezogen auf die körperliche Liebe«, klärte Don Rigoberto ihn auf. Er trank aus seinem Glas, in kleinen Schlucken, ohne sich dessen bewußt zu sein. »Gewisse Wörter, so wie dieses, erlangen ihre Bedeutung erst mit der Zeit, durch die Erfahrung, die wichtigerist als die Definitionen. Das ergibt sich ganz allmählich; kein Grund, daß du dich beeilst, Fonchito.«
    »Wie du meinst, Papi«, nickte das Kind und blinzelte: seine Wimpern waren sehr lang und warfen einen irisierenden, violetten Schatten auf seine Lider.
    »Weißt du, daß ich dieses ›Lob der Stiefmutter‹ gerne lesen würde?«
    »Natürlich, Papilein.« Das Kind war begeistert. Es sprang auf und stürmte los. »Dann kannst du mich korrigieren, wenn ein Fehler drin ist.«
    In den wenigen Minuten, die Fonchito ausblieb, fühlte Don Rigoberto, wie das Unbehagen wuchs. Zuviel Whisky vielleicht? Nein, was für ein dummer Gedanke. Deutete dieser Druck in den Schläfen darauf hin, daß er krank wurde? Im Büro gab es etliche Grippekranke. Nein, das war es nicht. Was dann? Er mußte an den Satz aus dem Faust denken, der ihn als jungen Burschen so fasziniert hatte: »Den lieb’ ich, der Unmögliches begehrt.« Er hätte ihn gern zum Wahlspruch seines Lebens gemacht, und in gewisser Weise, wenn auch nur für sich, nährte er das Gefühl, daß er dieses Ideal erreicht hatte. Warum erfaßte ihn jetzt die angstvolle Ahnung, daß ein Abgrund sich vor seinen Füßen auftat? Was für eine Gefahr bedrohte ihn? Wie? Wo? Er dachte: ›Es ist völlig unmöglich, daß Fonchito von seiner Stiefmutter gehört hat ‚Ich hatte einen wunderschönen Orgasmus‘.‹ Er bekam einen Lachanfall, aber er lachte ohne die geringsteFröhlichkeit, mit kläglich verzogenem Gesicht, dessen Bild ihm das Glas der libidinösen Vitrine zurückwarf. Da war Alfonso wieder. Er hielt ein Heft in der Hand. Er reichte es ihm, ohne etwas zu sagen, und schaute ihm unverwandt in die Augen, mit diesem blauen Blick, der so sanft und unschuldig war, daß er, wie Lukrezia meinte, »den Leuten das Gefühl gab, schmutzig zu sein«.
    Don Rigoberto setzte die Brille auf und schaltete die Stehlampe ein. Er begann die deutlichen, mit schwarzer Tinte gemalten Buchstaben mit lauter Stimme zu lesen, aber in der Mitte des ersten Satzes verstummte er. Er las still weiter, wobei er leicht die Lippen bewegte und häufig blinzelte. Plötzlich hörten seine Lippen auf, sich zu bewegen. Sie öffneten sich, verzogen sich nach unten, bis sie seinem Gesicht einen einfältigen, blöden Ausdruck verliehen. Ein Speichelfaden hing zwischen seinen Zähnen herab und befleckte den Aufschlag seines Sakkos, aber er schien es nicht zu bemerken, denn er säuberte sich nicht. Seine Augen wanderten von links nach rechts, zuweilen rasch, zuweilen langsam, und mitunter wanderten sie zurück, als hätten sie nicht richtig verstanden oder als wollten sie nicht akzeptieren, daß das, was sie gelesen hatten, tatsächlich da geschrieben stand. Nicht ein einziges Mal, solange die langsame, endlose Lektüre dauerte, lösten sich die Augen Don Rigobertos von dem Heft, um
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