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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter
Autoren: Barbara Bronnen
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1. Findlinge
    Der Findling, der mein Vater ist, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin.
    Arnolt Bronnen, Schriftsteller. Geboren 1895. Gestorben 1959 in Ostberlin.
    Selbstfindling. Ein erratischer Block, vom Alpenrand in die Ebene Berlins transportiert. Inbegriff der Vereinzelung.
    Ein grauer Himmel scheint sich herabzusenken, als würden sich Himmel und Erde vermählen. Knapper Austausch mit dem Vater.
    Neben ihm Christa Wolf. Am Ende ihrer literarischen Autobiographie stellte sie sich die Frage: Wie sind wir geworden, was wir sind? Eine Frage, die auch Arnolt Bronnen umtrieb. Gegenüber Günter Gaus, im ewigen Interview mit meinem Vater verstrickt. Ich bin sicher, daß er Neues herausfindet. In der Nähe Weggefährten: Bertolt Brecht, Helene Weigel, John Heartfield, Wieland Herzfelde, Johannes R. Becher.
    Arnolt gibt das Theater nicht auf, richtet sein blaufunkelndes Monokel auf mich und schüttelt den Kopf. Immer hat er schnell die Tür zugemacht, damit niemand einen Fuß dazwischenstellt und ihm das Geheimnis raubt. Er spielt nach wie vor mit verdeckten Karten, wenn ich nach seinem Vater frage.
    Steinerne Stirn. Nichts, was ihn ins Wanken bringt.
    Ach, gib's doch auf, Genosse.
    Unheimliches Laubgeraschel, verräterisches Kreischen eines Eichelhähers. Eine Katze in der Dämmerung. Feuchtes Gras. Erdgeruch.
    Kalte Füße.
    Ich sage, daß ich mich nicht davon abbringen lasse, die Wahrheit über den Großvater und den Vaterschaftsprozeß herauszubekommen. Ich fühle, daß da etwas nicht stimmt. Daß der Trick mit der Selbstgeburt nichts anderes ist als Selbstbetrug.
    Ich warte auf das ersehnte Zeichen.
    Er schweigt. Ich drohe. Daß ich den Sarg des Großvaters öffnen werde. Daß Großvater auferstehen und den Mund auftun würde, über kakanische Familienabgründe hinweg.
    Sie wendet sich ab.
    Verläßt den Dorotheenstädtischen Friedhof. Hat sie wirklich erwartet, daß von Vaterseite etwas käme?
    Es gibt immer weniger Berührungspunkte zwischen ihrem Vater und ihr.
    Sie hat angenommen, wenn sie oft genug über ihren Vater schreibt, wird sich das Geheimnis enthüllen. Fehlanzeige. Doch je älter sie wird, desto dringlicher wird es ihr, Bescheid zu wissen.
    Ich gehe weiter und finde mich auf dem Stelenfeld wieder, erbaut vom jüdischen Architekten Daniel Libeskind. Betrachte die Kinder, die von Stele zu Stele springen oder Verstecken spielen, die Jugendlichen, die einen Joint rauchen. Zwei Busse halten, einer mit deutschen, einer mit jüdischen Besuchern, die ernste Gesichter aufsetzen; hinter einer Stele sehe ich den Penner, der verstohlen pinkelt. Als die Busse abfahren, ist es ruhig.
    Die Anonymität bedrückt.
    Dazwischen leerer Raum. Spalten. Sie steigt von der Stele hinab.
    Im Hotel, an der Rezeption, verlange ich die Rechnung. Ich gehe in mein Zimmer, packe Kleider, Laptop und
Arbeitsmaterial ein und fahre zum Bahnhof. Ich buche einen Platz im Liegewagen nach Krakau.
    Eigentlich wollte ich zwei Wochen in Berlin bleiben.
    Ich gebe dem Schaffner zehn Euro und bekomme ein Abteil für mich allein. Ich schlafe im Liegewagen eine Stunde wie tot.
    Wie komme ich in diesen Schlafwagen?
    Dann begreife ich, warum ich hier bin. Ich muß den Weg zur Wahrheit finden.
    Mich herantasten. Mich fragen, wie andere mich stets fragten.
    Mein Großvater ist in Auschwitz geboren.
    Gestorben?
    Nein, geboren.
    Im KZ ?
    Nein, in Auschwitz.
    Das geht?
    Das ging.
    War er Jude?
    Jude oder Halbjude.
    Was denn nun?
    Ich weiß es nicht.
    Du weißt es nicht?
    Ich weiß nur, daß mein Vater meinen Großvater nicht zum Vater haben wollte.
    Wie kam der Großvater damit zurecht? Wie lebte er? Was hat seine Geschichte bei ihrem Vater ausgelöst? Was macht sie aus ihr?
    Ich staune über mein Unwissen. Schließlich habe ich im Lauf der letzten Jahrzehnte bereits in meiner Familiengeschichte gegraben.
    Ich bleibe wach in dieser Nacht.
    Diese Familienversenkung, die stets vor dem Großvater haltmachte.
    Alles, was sie hat, sind ein paar Papiere und Hefte.
    Was will sie vom Großvater erfahren?
    Ich fahre meinen Laptop hoch. Hier habe ich alles zusammengetragen, ich sehe es durch. Immerhin zuverlässiges Material zur Biographie eines Unbekannten.
    Bestandsaufnahme.
    Ich besitze:
    Das Typoskript seiner Lebenserinnerungen von über fünfhundert Seiten, abgeschlossen 1948.
    Seine Dramen in Fotokopien.
    Einen
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