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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman
Autoren: Lisa Lutz
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auf dem Boden ausgestreckt lag, durchaus ein gewisses Etwas – in jedem Fall genug Potential, um als zukünftiger Ex-Freund in Betracht zu kommen. Dabei war er gar nicht mein Nachbar. Schließlich wohne ich nicht mehr bei meinen Eltern, aber vielleicht sollte ich häufiger zu Besuch kommen. Das Alter des potentiellen zukünftigen Ex-Freundes schätzte ich auf dreißig. Er war etwa 1,83 Meter groß, hatte sandblonde Haare, blaue Augen und eine leichte Sonnenbräune, wie sie mir nie gelingen wollte.
    Was dann folgte, kam mir seltsam vor, nein, verdächtig: Der Unbekannte prüfte nicht nach, ob er sich Schrammen oder blaue Flecke zugezogen hatte. Er wandte sich nicht an seine Angreiferin (Rae), um eine Entschuldigung einzufordern. Das Einzige, was sein unruhig flackernder Blick wahrzunehmen schien, waren die ringsum verstreuten Papiere. Die sammelte er hastig ein, als handelte es sich um Aktienzertifikate oder Hundert-Dollar-Scheine, stopfte sie in die Kisten zurück und klappte die Deckel zu. Erst nachdem er wiederholt den Kopf gedreht und gewendet hatte, um seine unmittelbare Umgebungaus einem Winkel von 360 Grad zu rastern, und sich auf diese Weise vergewisserte, dass alle losen Blätter eingefangen waren, nahm er unsere Anwesenheit zur Kenntnis.
    Zunächst fiel sein Blick, der eben noch angestrengt der Schatzsuche galt, auf Rae. Ein mildes Lächeln huschte über sein Gesicht.
    »Wohin so eilig?«, fragte er meine Schwester.
    »Ich muss ins Krankenhaus zurück.«
    »Warum?«, fragte der Unbekannte. Leider.
    Rae, die auf Fragen stets nur ehrlich und direkt antworten kann, sagte: »Heute hätte ich aus Versehen fast meinen besten Freund ermordet.«
    »Ich wusste gar nicht, dass man jemanden aus Versehen ermorden kann. Ich dachte, in solchen Fällen spricht man von fahrlässiger Tötung.«
    »Danke«, sagte meine Mutter erfreut. Sie findet es großartig, wenn andere zur Erziehung ihrer Kinder beitragen, das ist Ihnen sicher nicht entgangen.
    »Dann hätte ich heute eben aus Versehen fast meinen besten Freund fahrlässig getötet, und ich will wieder ins Krankenhaus zurück, um ihn zu besuchen.«
    »Das war jetzt doppelt gemoppelt, Rae«, sagte Dad.
    »Er will aber nicht, dass sie ihn besucht«, erklärte ich dem Unbekannten, der zusehends verwirrter schien.
    »Wie kommst du darauf?«, warf Rae schnippisch ein.
    »Ich weiß es eben«, sagte ich. »Er hat mich gebeten, dich von ihm fernzuhalten.«
    »Das möchte ich sehen«, sagte meine Schwester und blickte sich rasch nach allen Seiten um. Gleich würde sie den nächsten Fluchtversuch wagen.
    Auch mein Vater wusste Raes Körpersprache zu deuten, er nahm sie in den Arm, um sie festzuhalten. Dann endlich stellte er uns dem Unbekannten vor.
    »Hi, wir sind Ihre neuen Nachbarn. Ich heiße Albert Spellman, das sind meine Frau Olivia und meine älteste TochterIsabel, und hier haben wir Rae, die am liebsten wieder losstürmen würde.«
    »Freut mich. Ich heiße John Brown.«
    Mein Verdacht, ohnehin durch die manische Papiersammlerei geweckt, wuchs schlagartig, als ich diesen Namen hörte. John Brown. Ein Allerweltsname, viel zu gewöhnlich, vor allem so nutzbringend gewöhnlich. Für Privatdetektive bedeuten Allerweltsnamen praktisch das Aus. Wenn man weder die Sozialversicherungsnummer noch Ort und Datum der Geburt einer Person solchen Namens kennt, ist es so gut wie unmöglich, an brauchbare Hintergrundinformationen zu kommen.
    John. Brown. Die Volkszählung von 1990 hat ergeben, dass »John« in den USA der zweitgebräuchlichste männliche Vorname ist, während »Brown« bei den häufigsten Nachnamen an fünfter Stelle rangiert. Nur »James Smith« wäre schlimmer gewesen ... Ich gebe ja zu, dass alles und jeder meinen Verdacht erregt.
    An jenem Sonntag, den 8. Januar, allerdings stand John Brown erstaunlicherweise ganz unten auf der Liste der Dinge, die meine Aufmerksamkeit verlangten. Priorität hatten meine Mutter, meine Schwester, mein Vater und das merkwürdige Verhalten meiner besten Freundin.
P ROTOKOLLE ÜBER V ERDÄCHTIGES V ERHALTEN
    Ich führe Listen. Sie ähneln To-do-Listen, und ich greife immer wieder darauf zurück. In diesen Listen werden Gewohnheiten festgehalten, Verbrechen oder Beziehungen (siehe die vollständige Liste meiner Ex-Freunde im Anhang). Ich habe schon als Kind festgestellt, dass mir dieses Genre liegt: Es ist einfach, klar und übersichtlich. In letzter Zeit ist mir häufiger in den Sinn gekommen, dass ich auch Listen über verdächtiges
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