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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman
Autoren: Lisa Lutz
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sehnte ich mich verzweifelt nach meinem alten Job zurück. Doch so verzweifelt ich war, verlangte es mein Stolz, dass ich so lange wie möglich dabeiblieb: genau drei Tage.
    Bevor ich meinen Eltern erlaubte, mich wieder einzustellen, legte ich ihnen eine Liste mit Forderungen vor, allesamt nicht verhandelbar, da ich andernfalls bei der Konkurrenz anheuern würde. Später bat ich David, die Liste in meinen Vertrag einzuarbeiten. Ursprünglich lautete sie so:
Keine Kuppelei mit Rechtsanwälten
Paragraph 5, Absatz (d) ist null und nichtig
Keine Überprüfung meiner künftigen Ex-Freunde
Wahrung meiner Privatsphäre
    Nachdem Mom und Dad sich mit allem einverstanden erklärt hatten, unterschrieb jedes Familienmitglied das Dokument.
    Ein paar Wochen später nahmen Rae und ich die erste gemeinsame Observierung seit ihrem Verschwinden vor. Während ich mich durch den Verkehr schlängelte, um Joseph Baum, Fall Nr. 07-427, nicht aus den Augen zu verlieren, stellte mir Rae eine Frage, die sie vermutlich seit Wochen beschäftigte.
    »Izzy, warum bist du eigentlich zurückgekommen?«
    Ohne zu überlegen, erwiderte ich: »Weil mir keine Alternative einfiel.«
    Ich erwähnte allerdings nicht, dass mir keine Alternative zugesagt hätte. Diesmal hatte ich mich ganz bewusst entschieden. Diesen Job hatte ich schon immer geliebt, bloß die déformation professionelle, die mit den Jahren zunahm, gefiel mir nicht. Und ich wollte mich nicht mehr verbiegen.
    Von heute auf morgen ließ Rae davon ab, in ihrer Freizeit Fremde zu beschatten, Schlösser zu knacken und Unmengen von Zucker zu konsumieren. Sie ließ sogar Onkel Ray in Frieden. Zum ersten Mal hatte sie etwas von einem echten Teenager an sich. Natürlich arbeitete sie nach wie vor für das Familienunternehmen, doch ohne die Spielregeln bestimmen zu wollen.
    Zwei Monate später gaben David und Petra ihre Verlobung bekannt. Onkel Ray ließ sofort die Champagnerkorken knallen. Rae sah ihn bloß milde an, während er eine halbe Flasche Schampus kippte und sich dann im Laden an der Ecke ein Sixpack Bier besorgte.
    Die nächsten Wochen schleppte mich Petra durch die halbe Stadt, um in verschiedenen Kaufhäusern alle möglichen Brautjungferkleider anzuprobieren. Dabei schien jedes Kleid noch aufgeplusterter und greller als das vorhergehende. Und als ich schon dachte, Petra habe durch die Lektüre ihrer Hochzeitsmagazine eine Art Gehirnwäsche verpasst bekommen, erhielt ich per Post einen braunen Umschlag, der Unmengen peinlicherFotos enthielt. Sie zeigten, wie ich mit wilden Grimassen in eine kunterbunte Ansammlung von pastelligen, pludrigen Chiffonkleidern stieg. Diese Charade hatte meine Mutter ausgeheckt, offenbar ein schwacher Trost für den Verzicht auf Paragraph 5, Absatz (d). Im Grunde stellten diese heimlichen Aufnahmen einen Vertragsbruch dar, aber ich sah darüber hinweg. Was hätte ich sonst tun sollen? Kündigen?
    Als Rae drei Monate nach Aufnahme ihrer gemeinnützigen Arbeit erfuhr, dass infolge ihrer Ermittlungen in beiden Fällen Anklage erhoben wurde, suchte sie prompt Inspektor Stone auf.
    Das war nichts Neues. Seit ihrer Verurteilung besuchte sie ihn mindestens ein Mal die Woche. Jedes Mal verwies er sie auf die Psychologin, die das Gericht Rae zugeteilt hatte, aber sie ließ sich nicht vertreiben. Nachdem ihre Versuche, Strafmilderung zu erwirken, regelmäßig scheiterten, kam sie auf andere Themen zu sprechen – Familie, Freunde, Vorzüge und Tücken der Sperrstunde. Und jedes Mal, wenn Rae bei Stone im Büro vorbeischaute, rief er mich prompt an.
    »Sie ist schon wieder hier.« So fingen die Telefonate immer an.
    »Wer?«, fragte ich zum Spaß.
    »Rae. Bitte holen Sie Ihre Schwester ab. Ich habe zu tun.« Stone bemühte sich dann stets um einen besonders professionellen Ton.
    Meistens ließ ich alles stehen und liegen. Wenn ich sein Büro erreichte, hockte Rae schon im Schneidersitz auf dem alten schwarzen Ledersessel vor seinem Schreibtisch und machte ihre Hausaufgaben, weil er darauf bestand. Das hieß aber auch, dass Rae ihn als einzig greifbaren Erwachsenen in ihre Arbeit einzubeziehen versuchte:
    »Inspektor, was bedeutet Calvitis ?«
    Stone zog stumm ein Wörterbuch aus dem Regal und reichte es ihr.
    »Sie wissen es also auch nicht«, sagte Rae.
    »Doch, aber du sollst diese Aufgabe ohne Hilfe deiner lokalen Polizeidienststelle lösen.«
    »Sie bluffen. Sie haben keine Ahnung.«
    »Doch.«
    »Nein.«
    »Es bedeutet ›Kahlköpfigkeit‹. Los, mach dich wieder an
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