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Limit

Limit

Titel: Limit
Autoren: Frank Schätzing
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folgte ihnen ohne große Eile. Nairs Lächeln gewann an Zahnschmelz. Er strahlte die Wartenden an, die Umgebung und das Leben, sog Inselluft in seine Nüstern, sagte »Ah!« und »Unglaublich!«. Kaum dass er der Frau im Hosenanzug ansichtig wurde, begann er, die Anlage in den höchsten Tönen zu lobpreisen. Sushma mischte indifferente Laute des Wohlgefallens mit hinein. Die schlanke Frau bedankte sich. Nair redete weiter, ohne Unterlass. Wie wunderbar alles sei. Wie gelungen. Hanna übte sich in Geduld, während er ihre Erscheinung auf sich wirken ließ. Ende dreißig, das aschblonde Haar zum Helm hochgesteckt, gepflegt und zugleich von jener natürlichen Anmut, die sich ihrer selbst nie ganz bewusst ist, hätte sie die Venusfalle in jedem Werbefilm für ein Kreditinstitut oder eine Kosmetikserie abgeben können. Tatsächlich leitete sie Orley Travel, Orleys Touristik-Ableger, was sie zur zweitwichtigsten Person im größten Wirtschaftsimperium der Welt machte.
    »Carl.« Sie lächelte und reichte ihm die Hand. Hanna sah in meerblaue Augen, unwirklich intensiv, die Iris dunkel umrandet. Die Augen ihres Vaters. »Schön, dass Sie unser Gast sind!«
    »Danke für die Einladung.« Er erwiderte ihren Händedruck und senkte die Stimme: »Wissen Sie, ich hatte ein paar nette Bemerkungen über das Hotel vorbereitet, aber ich fürchte, mein Vorgänger hat mein ganzes Pulver in seiner eigenen Flinte verschossen.«
    »Haha! Ha!« Nair schlug ihm auf die Schulter. »Tut mir leid, mein Freund, aber wir haben Bollywood! Gegen so viel Poesie und Pathos werden Sie mit Ihrem kanadischen Zedernholzcharme nie ankommen.«
    »Hören Sie nicht auf ihn«, sagte Lynn, ohne den Blick abzuwenden. »Ich bin durchaus empfänglich für kanadischen Charme. Auch für die wortlose Variante.«
    »Dann will ich mich mal nicht entmutigen lassen«, versprach Hanna.
    »Alles andere würde ich Ihnen verübeln.«
    Um sie herum waren dienstbare Geister damit befasst, Berge abgewetzt aussehender Gepäckstücke auszuladen. Hanna vermutete, dass sie den Nairs gehörten. Solide gearbeitetes, seit alttestamentarischen Zeiten in Gebrauch befindliches Zeug. Er selbst hatte nur einen kleinen Koffer und eine Reisetasche mitgenommen.
    »Kommen Sie«, sagte Lynn herzlich. »Ich zeige Ihnen die Zimmer.«
    Tim sah seine Schwester von der Terrasse aus mit einem indisch aussehenden Paar und einem athletisch proportionierten Mann den Heliport verlassen und zum Rezeptionsgebäude gehen. Er und Amber bewohnten ein Eckzimmer im fünften Stock, von wo sich ein perfekter Panoramablick bot. In einiger Entfernung leuchtete die Plattform in der Sonne, zu der sie am folgenden Morgen übersetzen würden. Ein weiterer Helikopter näherte sich der Insel, das Knattern der Rotoren eilte ihm voraus.
    Er legte den Kopf in den Nacken.
    Ein Tag von seltener, kristallener Klarheit.
    Der Himmel spannte sich als tiefblaue Kuppel über das Meer. Wie zur Verzierung oder als Orientierungshilfe hing eine einzige, ausgefranste Wolke darin, scheinbar reglos. Tim musste an einen alten Film denken, den er vor Jahren gesehen hatte, eine Tragikomödie, in der ein Mann in einer Kleinstadt aufwuchs, ohne sie je verlassen zu haben. Er war dort zur Schule gegangen, hatte geheiratet, einen Job angenommen, traf sich mit Freunden, die er von Kindesbeinen an kannte – und dann, mit Mitte 30, machte er die Entdeckung, dass er der unfreiwillige Star einer Fernsehshow und die Stadt eine einzige, kolossale Fälschung war, vollgestopft mit Kameras, falschen Wänden und Bühnenlicht. Alle Einwohner außer ihm waren Schauspieler mit Verträgen auf Lebenszeit, auf seine Lebenszeit natürlich, und konsequenterweise erwies sich der Himmel als blau angemalte, riesige Kuppel.
    Tim Orley kniff ein Auge zusammen und hielt den rechten Zeigefinger so in die Höhe, dass die Spitze den unteren Rand der Wolke zu berühren schien. Sie balancierte darauf wie ein Wattebausch.
    »Willst du was trinken?«, rief Amber von drinnen.
    Er antwortete nicht, sondern umspannte sein Handgelenk mit der Linken und versuchte, den Finger so ruhig wie möglich zu halten. Zuerst tat sich gar nichts. Dann, unendlich langsam, verschob sich die winzige Wolke Richtung Osten.
    »Die Bar ist vollgepackt bis an den Rand. Ich nehm' ein Bitter Lemon. Was willst du?«
    Sie bewegte sich. Sie würde weiterziehen. Aus unerfindlichen Gründen trug es zu Tims Beruhigung bei, dass die Wolke da oben nicht angenagelt oder aufgemalt war.
    »Was?«, fragte
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