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Limit

Limit

Titel: Limit
Autoren: Frank Schätzing
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bemerkte Mukesh Nair.
    Der Inder strich sich das dichte schwarze Haar aus der Stirn. Sein dunkles Gesicht glühte vor Freude, die Nüstern seiner gurkenförmigen Nase blähten sich, als wolle er den Moment inhalieren.
    »Natürlich sind es zwei.« Sushma, seine Frau, streckte Zeige- und Mittelfinger aus wie jemand, der einen Erstklässler vor sich hat. »Zwei Kabinen, zwei Seile.«
    »Weiß ich doch, weiß ich!« Nair winkte ungeduldig ab. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. Er sah Hanna an. »Was für ein Wunder! Wissen Sie, wie breit diese Seile sind?«
    »Etwas über einen Meter, glaube ich.« Hanna lächelte zurück.
    »Kurzzeitig waren sie weg.« Nair sah kopfschüttelnd hinaus. »Einfach verschwunden.«
    »Stimmt.«
    »Sie haben das auch gesehen? Und du? Sie flimmerten wie eine Fata Morgana. Hast du es auch –«
    »Ja, Mukesh. Ich hab's auch gesehen.«
    »Ich dachte schon, ich hätte mir das eingebildet.«
    »Nein, hast du nicht«, sagte Sushma freundlich und legte ihm eine kleine, paddelförmige Hand aufs Knie. Auf Hanna wirkten die beiden wie von Fernando Botero gefertigt. Die gleiche rundliche Figur, die gleichen kurzen, wie aufgepumpt wirkenden Extremitäten.
    Er schaute wieder aus dem Fenster.
    Der Hubschrauber hielt gebührenden Abstand zu den Seilen, während er an der Plattform vorbeizog. Nur autorisierte Piloten der NASA oder von Orley Enterprises durften diese Route fliegen, wenn sie Gäste zur Isla de las Estrellas brachten. Hanna versuchte einen Blick ins Innere des Zylinders zu erhaschen, wo die Seile verschwanden, doch die Entfernung war zu groß. Im nächsten Moment hatten sie die Plattform hinter sich gelassen und schwenkten auf die Isla ein. Unter ihnen huschte der Schatten der Maschine über tiefblaue Wellen.
    »Diese Seile müssen doch extrem dünn sein, wenn man sie von der Seite nicht sieht«, sinnierte Nair. »Also, platt. Ich meine, flach. Sind es überhaupt Seile?« Er lachte und rang die Hände. »Wohl eher Bänder, was? Wahrscheinlich alles falsch. Mein Gott, was soll ich sagen? Ich bin auf einem Acker groß geworden. Auf einem Acker!«
    Hanna nickte. Während des Fluges von Quito hierher waren sie ins Gespräch gekommen, aber auch so wusste er, dass Mukesh Nair zu Äckern eine innige Beziehung pflegte. Ein genügsamer Bauernsohn aus Hoshiarpur in Punjab, der gerne gut aß, dabei einen Straßenstand jedem Drei-Sterne-Restaurant vorzog, die Anliegen und Meinungen einfacher Leute höher einschätzte als Small Talk auf Empfängen und Vernissagen, vorzugsweise Economy Class flog und teure Kleidung so sehr begehrte wie ein Kragenbär eine Krawatte. Zugleich gehörte Mukesh Nair mit einem geschätzten Privatvermögen von 46 Milliarden Dollar zu den zehn reichsten Menschen der Welt und dachte alles andere als bäuerlich. Er hatte Agrikultur in Ludhiana und Volkswirtschaft an der Universität von Bombay studiert, war Träger des Padma Vibhushan, des zweithöchsten indischen Ordens für zivile Verdienste, und unangefochtener Marktführer, was die Versorgung der Welt mit indischem Obst und Gemüse betraf. Hanna kannte die Vita von Mister TOMATO, wie Nair allseits genannt wurde, bis ins Detail, so wie er die Lebensläufe sämtlicher Gäste studiert hatte, die zu dem Treffen anreisten.
    »Jetzt schauen Sie mal, schauen Sie sich das mal an da!«, rief Nair. »Auch nicht schlecht, was?«
    Hanna reckte den Kopf. Der Helikopter hielt auf den Osthang der Insel zu, sodass sie perfekte Sicht auf das Stellar Island Hotel genossen. Wie ein gestrandeter Ozeandampfer ruhte es in den Hängen, sieben übereinandergeschichtete, stufig zurückweichende Stockwerke, die einen ausgreifenden Bug mit einem riesigen Swimmingpool überblickten. Jedes Zimmer gebot über sein eigenes Sonnendeck. Den höchsten Punkt des Gebäudes bildete eine kreisrunde Terrasse, zur Hälfte überspannt von einer gewaltigen, gläsernen Sphäre. Hanna erkannte Tische und Stühle, Liegen, Anrichten, eine Bar. Mittschiffs lag ein flach gehaltener Teil, offenbar die Lobby, im Norden begrenzt vom heckartigen Aufbau eines Hubschrauberlandeplatzes. Architektur wechselte mit Abschnitten schroffen Gesteins, als habe man versucht, ein Kreuzfahrtschiff unmittelbar vor die Insel zu beamen, und sich dabei um einige hundert Meter landeinwärts verrechnet. Hanna schätzte, dass Teile der Hotelanlage in den Berg hineingesprengt worden waren. Ein Fußweg, unterbrochen von Treppen, schlängelte sich hinab, durchquerte ein begrüntes Plateau, dessen
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