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Limit

Limit

Titel: Limit
Autoren: Frank Schätzing
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einem Meter in die Höhe zu katapultieren und nach Insekten zu schnappen, dürftiger Klimax eines ansonsten höhepunktlosen Repertoires an Naturschauspielen. Aufs Ganze gesehen hatte die Isla kaum etwas zu bieten, was es woanders nicht in schöner, größer und höher gab.
    Hingegen war ihre geografische Position makellos.
    Tatsächlich lag sie exakt auf der Erdmitte, wo Nord- und Südhalbkugel aneinandergrenzten, 550 Kilometer westlich von Ecuador und damit weit abseits jeglicher Flugrouten. Stürme traten in diesem Teil der Welt nicht auf. Größere Zusammenballungen von Wolken waren selten, nie zuckten Blitze. Während der ersten Jahreshälfte konnte es regnen, heftig und stundenlang, ohne dass der Wind sonderlich auffrischte. Kaum je unterschritten die Temperaturen 22 °C, meist lagen sie deutlich höher. Weil zudem unbewohnt und wirtschaftlich ohne Nutzen, hatte das ecuadorianische Parlament die Insel gegen eine erquickliche Aufbesserung des Staatshaushalts nur allzu gerne für die nächsten 40 Jahre an neue Mieter abgetreten, die sie als Erstes von Isla Leona in Isla de las Estrellas umtauften: Stellar Island, Insel der Sterne.
    Im Folgenden verschwand ein Teil des Osthangs unter einer Anhäufung von Glas und Stahl, die prompt den Zorn aller Tierschützer auf sich vereinte. Allerdings blieb der Bau ohne ökologische Folgen. Geschwader lärmender Seevögel, unbeeindruckt von den Zeugnissen menschlicher Präsenz, tünchten Architektur und Fels mit ihrem Kot wie eh und je. Vorstellungen von Schönheit beschäftigten die Tiere nicht, und den Menschen stand der Sinn nach Höherem als Gabelschwanzmöwen und Sandregenpfeifern. Ohnehin waren es nicht viele, die ihren Fuß bislang auf die Insel gesetzt hatten, und alles sprach dafür, dass sie auch in Zukunft ein ziemlich exklusiver Ort bleiben würde.
    Zugleich beschäftigte nichts die Fantasie der gesamten Menschheit so sehr wie diese Insel.
    Sie mochte ein schroffer Haufen Vogelscheiße sein und galt dennoch als außergewöhnlichster, vielleicht hoffnungsvollster Platz der Welt. Dabei ging die eigentliche Magie von einem Objekt rund zwei Seemeilen davor aus, einer gigantischen Plattform, ruhend auf fünf haushohen Säulenpontons. Näherte man sich ihr an dunstigen Tagen, nahm man ihre Besonderheit zunächst nicht wahr. Man erblickte flache Aufbauten, Kraftwerke und Tanks, eine Landefläche für Hubschrauber, ein Terminal samt Tower, Antennen und Radioteleskopen. Die Gesamtheit des Ensembles erinnerte an einen Flughafen, nur dass nirgendwo eine Landebahn zu sehen war. Stattdessen entwuchs dem Zentrum ein zylindrischer Bau gewaltigen Ausmaßes, ein schimmernder Koloss, aus dessen Seiten Bündel von Rohrleitungen mäanderten. Erst mit zusammengekniffenen Augen erkannte man den dünnen, schwarzen Strich, der dem Zylinder entsprang und steil aufwärtsstrebte. Hingen die Wolken tief, verschluckten sie ihn nach wenigen hundert Metern, und man fragte sich unwillkürlich, was man zu Gesicht bekäme, sollte es aufklaren. Selbst, wer es besser wusste – im Prinzip also jeder, der es so weit gebracht hatte, die Hochsicherheitszone zu durchqueren –, erwartete irgendetwas zu sehen, in das der Strich mündete, einen festen Punkt, an dem die überforderte Fantasie sich aufhängen konnte.
    Doch da war nichts.
    Auch bei strahlendem Sonnenschein und tiefblauem Himmel ließ sich kein Ende der Linie ausmachen. Sie wurde dünner und dünner, bis sie sich in der Atmosphäre zu entmaterialisieren schien. Setzte man den Feldstecher an, verlor sie sich lediglich ein bisschen höher. Man starrte, bis die Halswirbel schmerzten, Julian Orleys legendär gewordene Bemerkung im Ohr, die Isla de las Estrellas sei das Erdgeschoss der Ewigkeit – und begann zu ahnen, was er damit gemeint hatte.
    Ebenso strapazierte an diesem Tag auch Carl Hanna seinen Nacken, verrenkte sich auf dem Sitz des Helikopters, um wie blöde hinauf ins Blau zu glotzen, während unter ihm zwei Finnwale durchs pazifische Azur pflügten. Hanna verschwendete keinen Blick daran. Als der Pilot ihn zum wiederholten Male auf die seltenen Tiere hinwies, hörte er sich murmeln, dass es nichts Uninteressanteres gäbe als das Meer.
    Der Helikopter beschrieb eine Kurve und dröhnte der Plattform entgegen. Kurz verschwamm der Strich vor Hannas Augen, schien sich aufzulösen, dann stand er wieder deutlich sichtbar im Himmel, schnurgerade wie mit dem Lineal gezogen.
    Im nächsten Moment hatte er sich verdoppelt.
    »Es sind zwei«,
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