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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer
Autoren: Marie Velden
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blätterte durch die Seiten und sah mir die mit den E-Mails besonders gründlich an. Nach zwanzig Minuten legte ich das Buch erleichtert zur Seite. Nein, ich hatte diese Geschichte nicht in den Briefen erwähnt – das Wunder war einfach so geschehen.
    Ich erinnerte mich wieder an diesen Abend im vergangenen Jahr, als ich mit Julia im Auto unterwegs gewesen war und wir darüber gesprochen hatten, wie man den erkennen würde, für den man geschaffen war. Ich erinnertemich auch an meine Antwort. Vielleicht wurde es langsam Zeit, dass ich zu meinen eigenen Worten stand.
    Ich stand auf, holte das Telefon und wählte Christians Nummer.
    »Ich bin’s«, sagte ich schlicht.
    »Hast du meine Nachricht bekommen«, fragte er ebenso knapp.
    »Ja, hab ich.«
    »Und?«
    »Wie wäre es mit einer zweiten Ouvertüre?«
    »Wie meinst du das?«
    »Wir haben übermorgen Premiere. Das weißt du doch. Und ich dachte, diesmal könntest du mich wirklich begleiten.«
    »Soll ich das als Reaktion auf meine Botschaft sehen?«
    »Reaktion gefällt mir nicht. Das klingt so physikalisch. Einladung klingt besser.«
    »Eine Einladung? Wozu?« Ich hörte, wie er lächelte. Seine Stimme war warm.
    »Zur Premiere eines guten Stücks mit langer Spielzeit.«
    »Ah   …«
    »Ja   …«
    »Wann soll ich dich abholen?«
    »Halb sieben. Pünktlich!«
    »Verlass dich darauf«.
    ***
    »Maugham«, sagte ich und zog das Prospekt mit dem Zitat aus meiner kleinen schwarzen Tasche und faltete essorgsam auseinander. ›Auf Messers Schneide‹. In meiner Ausgabe auf Seite 360.«
    Die Premiere war vorbei und Christian und ich waren kurz mit zur Feier gekommen. Es hatte gutgetan, Julias Lächeln zu sehen, als ich an seiner Hand ins Foyer gekommen war, und auch Franz’ ironisches Gezwinker hatte mich froh lachen lassen. Einzig Till hatte mich säuerlich angesehen, aber ich hoffte, das würde vorbeigehen. Ich
war
seine Freundin, die Angst, mich plötzlich zu verlieren, war unbegründet. Ich würde seine Freundin bleiben.
    Die Vorstellung war grandios gewesen, zwanzig Vorhänge und anhaltende Bravo-Rufe, begleitet von Fußgetrampel. Franz strahlte am Schluss selbst von der Bühne, und in der ersten Reihe strahlte Julia zu ihm hoch. Man konnte sehen, wie stolz sie auf ihn war. Einzig Karin Mägelein ließ sich von der Euphorie nicht anstecken, sie sah noch mausiger und blasser aus als sonst. Ihr Mann war vor einigen Tagen überraschend aus dem großen Haus am Starnberger See ausgezogen und der Schreck saß ihr inallen Gliedern. Sie wirkte wie ein aus dem Nest gefallener Vogel.
    »Nein, er hat keine Freundin«, versicherte Friedmann, der wohl mit Mägelein selbst gesprochen hatte. »Er hatte es wohl schlicht satt, als unbeholfener Depp zu gelten, dessen Dasein allenfalls durch seine Brieftasche gerechtfertigt war.« Ich war erstaunt über Friedmanns Worte, denn obwohl er doch ein alter Freund von Karin Mägelein war, bezog er damit klar Position. Insgeheim stand auch ich auf Mägeleins Seite, aber offen gestanden interessierte mich Karin Mägelein nicht wirklich. Ich erzähle es nur, weil ich finde, auch diese Geschichte braucht ihren Abschluss. Was mich interessierte, lag zwischen Christian und mir auf dieser Bank unten an der Isar. Gegenüber leuchteten die Lichterder Praterinsel, die Luft war warm und duftete nach den Blüten der Kastanienbäume. Ab und zu fuhr jemand auf dem Fahrrad an uns vorüber. Wir hatten uns heimlich von der Feier davongestohlen, niemandem auf Wiedersehen gesagt. Wir wollten allein sein.
    Ich sah auf das Stück Papier mit diesen vielversprechenden Worten und lächelte. Ich lächelte, weil in diesem Augenblick noch einmal die Szene in Julias Wagen wie ein Filmausschnitt an mir vorüberzog. Ich wusste genau, was ich auf Julias Frage, woran ich den Richtigen erkennen würde, geantwortet hatte:
     
    »Wenn ein Mann, den ich so unwiderstehlich anziehend fände, dass jede verlorene Sekunde körperlichen Schmerz bereitet, zudem Somerset Maugham zitieren könnte.«
     
    Daran dachte ich also, als ich neben Christian auf dieser Bank saß, bevor ich ihm davon erzählte.
    »Hast du das wirklich gesagt«, fragte er.
    »Ja, und jedes Wort war so gemeint.«
    »Weißt du«, er griff nach meiner Hand, »du bist schon eine ziemlich merkwürdige Frau.«
    »Warum?«
    »Weil ich immer gedacht habe, wenn man jemanden zurückgewinnen wolle, dann vielleicht mit Diamantohrringen, einer Kreuzfahrt oder der Aussicht auf eine Eigentumswohnung. Irgendetwas in der Art.
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