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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer
Autoren: Marie Velden
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hätte.
    Doch das allein ist es nicht, was mir das Herz schwer macht.
    Ich war schon vor Hannes verliebt. Ich kenne Zärtlichkeitund Gier, Hingabe und Anspruch, Eifersucht und Zweifel, beschützen und beschützt werden, doch irgendwann endeten alle Geschichten im Nichts, ließen mich mehr oder weniger trauernd zurück, und wenn ich nach Jahren auf sie zurückblickte, fühlte ich weder Sehnsucht noch Bedauern. Das erschreckt mich. Es hatte niemanden gegeben, der für mich das sein konnte, was Harry für Sally, Benedict für Beatrice, Wallis Simpson für Edward VIII., Yoko Ono für John Lennon oder Oscar Wilde für Lord Alfred Douglas gewesen war: die verwandte Seele.
     
    Danke Dir fürs »Zuhören« und Da-Sein.
     
    Liebe Grüße
    schickt Dir
    Undine
    ***
    Es war eine stürmische Nacht Ende März. Der Regen peitschte wütend gegen die Fenster, über meinem Bett leuchtete das Krankenhaus-Nachtlicht blau und kalt und beschwor beharrlich ein Gefühl des Verlorenseins. Eine Woche zuvor war ich auf dem Weg zur Arbeit vom Fahrrad gestürzt und lag deshalb mit einer Gehirnerschütterung und einer Fraktur des Radiusköpfchens hier und hatte viel Zeit zum Nachdenken.
    Trotz meines bis zur Schulter geschienten Armes bewegten sich meine Finger behende über die Tastatur des Laptops und schrieben diese E-Mail , die jene Wende in meinem Leben hervorrufen sollte, die in meiner Erinnerungunwiderruflich mit Tschaikowskys ›Ouvertüre 1812‹ untermalt werden sollte.
     
    Dass ich Robbie Williams E-Mails schrieb, war nichts Neues. Ich habe es schon vor Jahren ein paar Mal getan, und warum ich mir ihn dafür und nicht Giovanni di Lorenzo oder Günther Jauch ausgesucht hatte, ist leicht zu erklären. Robbie Williams verkörpert exakt jene Art von Mann, von der ich mehr als nur einmal angenommen habe, sie könne für mich geschaffen sein: Sensibilität und Schmerz gepaart mit Witz und Charme, Augen zum Verrücktwerden schön und bis in die letzte Ecke eines neoprengeschützten Herzens von Bindungsängsten zerfressen. Außergewöhnlich in allem.
    Was für ein Wort! Bindungsängste. Aber es ist nicht zu leugnen: Seit den Neunzigern kommt es geläufiger als »danke« oder »bitte« über weibliche Lippen. Es braucht nur im Klappentext zu stehen, und schon geht ein sogenannter Beziehungsratgeber weg wie Coffee to Go am Montagmorgen. Ein bisher bedeutungsloser Psychologe hat einen Bestseller verfasst, und nebenbei ist die Bindungsangst zu der Erklärung geworden, warum Männer anstelle eines Eigenheims immer häufiger Staubwolken und zur Fassungslosigkeit erstarrte Frauen hinterließen, worauf ich mir die Frage zu stellen begann, was, zum Teufel, während der Sechziger, als sie noch als anhängliche Knirpse galten, in ihren Seelen schiefgelaufen war.
    Deshalb also Robbie Williams.
    Kein anderer Grund. Ich bin sechsunddreißig Jahre alt, Dramaturgin im ARENA, einem erfolgreichen Privattheater in München, und nicht die Sorte Frau, die einem Popstar so etwas wie Anbetung entgegenbringt. Das hatte ichnoch nicht einmal in meiner Jugend getan, als es völlig in Ordnung gewesen wäre. Nein, halt – das stimmt nicht ganz: 1979 hatte ich mich heillos in Tommi Ohrner verliebt, als er in ›Timm Thaler‹ dem finsteren Baron Lefouet sein Lachen verkauft und so hilflos-traurig ausgesehen hatte, dass es mir mein Mädchenherz zerriss.
    Meine Geschichte mit Robert Peter Williams aus Stokeon-Trent war also etwas Neues und begann vor sechs Jahren mit seinem Auftritt in der Royal Albert Hall, jener legendären Hommage an Frank Sinatra und all die anderen Schöpfer des Swings. Ich saß vor dem Fernseher und war hingerissen von diesem Mann, dessen Gesicht auf einzigartige Weise in zwei Hälften geteilt zu sein schien: in die obere, mit diesen jadegrünen Augen, in denen ich Schalk, Staunen und das Sentiment eines Jungen entdeckte, und in die untere, deren Mund die Bitter- und Einsamkeit eines alten Mannes offenbart. Einer, der gerettet werden muss. »Da geht ein Riss durch meine Seele. Man sieht es in meinem Gesicht.« In ›Feel‹ sang er davon. Doch was für ihn selbst quälend sein muss, ist für andere unwiderstehlich, greift Menschen direkt an ihre Herzen. Eine bezwingende Kombination aus Kraft und Zerrissenheit, die gleichzeitig mütterliche und niedere Instinkte weckt. Wie viele Frauen war auch ich dagegen nicht immun.
     
    Draußen ächzten und bogen sich die Bäume im Wind, der Regen hörte nicht auf. Diamantgroße Tropfen zerplatzten an den
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