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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer
Autoren: Marie Velden
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Temperaturanzeige des Thermometers auf einundzwanzig Grad gestiegen war. Frühling! Die Tür ging auf und die Krankenschwester von vorhin kam zurück.
    »Zeit für die Thrombose-Spritze«, sagte sie munter auf einem Kaugummi kauend und schlug meine Bettdecke zurück. »Dachten Sie etwa, ich ließe Sie entkommen?«
     
    Gegen eins kam die Ergotherapeutin vorbei. Sie war beim Friseur gewesen und die nun sehr kurzen Haare betonten ihr feinknochiges, schmales Gesicht. Wieder sagte sie mir mit sanfter Stimme, wie ich meinen Arm bewegen sollte. Und wieder blickte sie mich ein paar Mal von der Seite an. Prüfend, wie ich fand. Es irritierte mich. Kurz bevor sie ging, fragte sie mich: »Wann kommen Sie hier raus?«
    »Ich denke, Anfang nächster Woche.«
    »Gut.« Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Tasche. »Rufen Sie mich an, sobald Sie wieder zu Hause sind. Sie werden mich weiterhin brauchen. Wir machen dann neue Termine für Sie aus.«
    »Sehe ich Sie diese Woche denn nicht mehr?« Ich winselte beinahe.
    »Einmal noch. Am Freitag. Üben Sie bis dahin damit.« Sie reichte mir eine Art formbaren Gummiball. »Sie müssen ihn kneten, drücken, quetschen. Zwischen Ihren Handflächen rollen. Sehen Sie, so.« Sie zeigte mir, was ich tun sollte. »Eine gute Übung. Sie geben Ihrem Arm damit wieder Kraft.«
    »Und dann?«
    »Kann er sich wieder frei bewegen. Ohne Angst vor Schmerzen. Das Leben wird wieder lustig.« Einen Wimpernschlag lang lächelte sie. »Also, machen Sie’s gut.« Sie berührte kurz meinen unversehrten Oberarm und zog ihre Hand schnell wieder zurück. »Sie sind kalt. Ihnen fehlt Wärme.« Sie nahm ihre Tasche und ging. Eigenartige Frau, dachte ich, legte den Ball zur Seite und griff nach meinem Buch.
     
    Ich las, bis ich einschlief. Als ich wieder zu mir kam, stand an dem Tisch gegenüber meines Bettes ein Mann mit kurzen dunkelblonden Haaren und hellblauer Pflegerkleidung. Obwohl er mir den Rücken zugewandt hatte, war nicht zu übersehen, dass er sich an meinem Laptop zu schaffen machte. Das Klicken der Maus war deutlich zu hören und ich bemerkte, wie der Bildschirm ein paar Mal von oben nach unten scrollte.
    »Ich hoffe, Sie haben bald gefunden, wonach Sie suchen. Wenn nicht, fragen Sie mich ruhig.« Ich klang wie meine Religionslehrerin aus der siebten Klasse.
    Der Mann zuckte zusammen und fuhr herum.
    »Till!«
    »Ich dachte, du schläfst.«
    Es war kaum zu glauben, aber durch die dunklen Ränder seiner Brille sah er mich vorwurfsvoll an.
    »Und da hast du gedacht, das sei eine prima Gelegenheit, in meinen Sachen herumzuschnüffeln, hm? Ich hoffe, du nimmst es mir nicht allzu übel, dass ich aufgewacht bin, bevor du fertig warst. Was machst du eigentlich hier, noch dazu in dieser Kluft?«
    »Ehm   … ja   … Dienstplanänderung. Ursprünglich sollte ich für die nächsten drei Wochen ins Klinikum Großhadern, aber aus irgendeinem Grund hat mich Mutter Oberin heute Morgen hierher geschickt.« Er zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, warum. Jedenfalls hatte ich den ganzen Tag zu tun. Sonst wäre ich schon früher bei dir aufgekreuzt.«
    »Um in meinen Sachen zu stöbern?«
    »Quatsch.« Er grinste und wurde gleich darauf ernst. »Um dir dieses Ding abzunehmen.« Sein Kopf zeigte in Richtung des Laptops. »Du hast wieder diese alten Hannes- E-Mails gelesen. Warum tust du dir das an? Das ist aus, vorbei und lange her. Weshalb brauchen es Frauen immer fingerdick aufs Brot, bis sie es endlich kapieren?« Seine Stimme kletterte eine Oktave nach oben.
    »Du bist wie immer die Feinfühligkeit selbst.«
    »Ja, bin ich. Dieser Typ hier«, wieder zeigte er auf den Laptop, »dieser Typ hier ist ein Egoist. Dem ging es jede Sekunde nur um seinen eigenen bequemen Hintern. Nie um deinen.«
    »So würde ich das nicht sehen. Mein Hintern hatte es ihm von Zeit zu Zeit durchaus angetan. Komm jetzt, beruhig dich. Du hast ja recht. Und setz dich erst einmal hin. Dieses Herumstehen macht mich ganz nervös.«
    Till sah auf seine Uhr. »Keine Zeit. Zwei Stockwerketiefer freuen sich drei alte Ladys darauf, von mir gewaschen zu werden. Aber in anderthalb Stunden habe ich frei. Wir könnten auf ein Kännchen Hag in die Cafeteria gehen.«
    »Klar.«
    »Gut. Dann treffe ich dich gegen fünf dort.« Er trat jetzt doch an mein Bett und streichelte unbeholfen meinen Arm. »Bist ein tapferes Mädchen«, sagte Till. Die Hand verließ den Arm und wandte sich meinem Kopf zu.
    »Vorsicht«, erwiderte ich, »bei zu viel Zuneigung beginnen
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