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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer
Autoren: Marie Velden
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also einen neuen Mann. Soll ich es bei eBay versuchen?«
    »Warm.«
    »Wie bitte? Kannst du dich ein bisschen klarer ausdrücken?«
    »Der Gedanke ist nicht schlecht, aber noch nicht perfekt: Das Internet hat Besseres zu bieten. Es gibt dort haufenweise Kontaktbörsen und man lernt sehr schnell Leute kennen.
    »Kommt nicht in Frage.« Abwehrend schüttelte ich den Kopf.
    »Warum nicht?«
    »Das sind die Restposten. Leute, die sonst keiner will. Abstellgleis. Erbärmlich, irgendwie.«
    »Ach wirklich? Ist das so? So viel Spießigkeit hätte ich dir gar nicht zugetraut. Lass dir von mir als Fachmann sagen, das ist Quatsch. Es ist einfach eine moderne Art, Leute kennenzulernen.« Er schwieg einen Augenblick, trank von seinem Kaffee und sah mir über den Tassenrand direkt in die Augen: »Ich tu’s auch.«
    »Du?«
    Er nickte. »Was glaubst du denn, wo ich meine Mädels kennenlerne? Auf der Krankenstation?«
    »Keine Ahnung. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht. Beim Weggehen eben.«
    Er lachte, bevor er sich räusperte und sich konspirativ zu mir beugte. »Ich hatte erst gestern Abend ein Verabredung. Dolmetscherin, einunddreißig Jahre. Langes, schwarzes Haar.«
    »Und«, fragte ich, »ist es die große Liebe?«
    »Das nicht.«
    »Na, mach dir nichts draus. Vielleicht beim nächsten Mal.« Ich lächelte müde. Till war im Grunde seiner Seele ein sensibler Mann, ein Romantiker, der von der Reinheit der Gefühle träumte, von einem keuschen, scheuen Mädchen, das erst durch ihn ins Blühen geriet, der aber, sobald es ernst wurde, davonsprintete wie Willie Banks, als er 1986 im Dreisprung einen neuen Weltrekord aufstellte. Nein, ich machte mir nichts vor – sensible Seele hin, Romantik her   –, auch Till gehorchte auf Pawlow’sche Art dem Evolutionsbefehl und streute seinen Samen, wo er auf Nährboden stieß. Die Welt muss bevölkert werden. Hatte schon Shakespeare gesagt.
    Till enttäuschte mich nicht.
    »Wir waren im ›Alten Simpl‹«, sagte er. »Sie hat mir an der Theke direkt in den Schritt gegriffen.«
    »So ein Luder«, antwortete ich und löffelte den Cappuccinoschaum aus der Tasse. »Und du? Wie hast du reagiert.«
    »Wie wohl? Ich hab ihr die Muschi gerieben.«
    Die Worte hingen feucht und schwer in der Luft. Wir schwiegen beide. Unsere Köpfe in die Hände gestützt, starrten wir vor uns hin. Irgendwie lag in seinen Worten zu viel Realität. Traumdiebe.
    »Entschuldige, Till«, nahm ich den Faden wieder auf. »Aber das sind keine Perspektiven für mich.«
    »Weiß ich doch. Ich hätte dir das nicht erzählen sollen.« Seine grauen Augen blickten traurig. »Es sind auch keine für mich. Aber wie diese Frau sich verhalten hat, hat nichts mit dem Internet zu tun. Sie hätte das so oder so getan, egal, wie wir uns begegnet wären.«
    »Und was willst du mir damit sagen?«
    »Du solltest es probieren. Es wird nur das passieren, was du erlaubst. So wie immer. Die Leute im Netz sind keine Aliens. Es sind dieselben wie dort draußen. Von einer virtuellen Welt zu reden ist Quatsch. Sie ist von Menschen gemacht. Und nicht alle dort sind Freaks. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dein Hannes wäre einen Deut besser.«
    Wir schwiegen wieder.
    »Mein Laptop steht in meinem Zimmer«, sagte ich nach einer Weile nachdenklich.
    »Ich weiß.« Till lächelte.
    » W-Lan .«
    »Also los.«
    ***
    Zwei Wochen Krankenhaus können einiges bewirken. Im schlimmsten Fall verließ man es am Ende durch den dezenten Ausgang im Keller, aber im besten heilten die Knochen, schlossen sich Wunden, Tumore und Geschwüre verschwanden, hier und da sogar Fettpölsterchen, manche Nase war nachher gerader und etliche Busen straffer.
    Bei mir bewirkten sie vor allem Dankbarkeit.
    Ich hatte meine Wohnung immer schön gefunden, aber als ich nach vierzehn Tagen zum ersten Mal wieder die Türschwelle überschritt und ins Wohnzimmer kam, ging mir auf, wie sehr ich an ihr hing. Mein Blick fiel zuerst auf das große bogenförmige Fenster und dann auf den Balkon davor, an dessen Brüstung Terrakottatöpfe hingen, in denen schon bald Wicken, Rosmarin, Lavendel und Rosen blühen würden. Der Sommer war hier das ganze Jahr über heimisch geworden, an den Wänden, in den Möbeln, in den Stoffen und in meinen Bildern. Licht und Wärme überall.
    Ich fuhr den Rechner hoch und klickte den zweiten Song auf dem Album von Rebekka Bakken an: ›Welcome home‹– unglaublich schön, diese klare, zärtliche Stimme, der leichte Folk-Anklang, tränentreibend,
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