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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer
Autoren: Marie Velden
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wenn es darauf ankam.
    Meine Eltern hatten mich abgeholt, ich war nicht ins Leere gefallen. Sie waren in einem Hotel untergekommen, ein paar Nebenstraßen weiter, und für zwei Tage, bis sie wieder fuhren, würde ich einfach wieder ihr Kind sein. Ich konnte so tun, als sei ich unbeschwert und sorglos. Ich sah mich auf einem Bein die Straße entlanghüpfen, ein Eis in der Hand.
    Ich ging ins Schlafzimmer und goss die Pflanzen auf dem Fensterbrett. Irgendwie hatten sie ohne meine Pflege überlebt und waren nicht eingegangen.
    Ich war froh, daheim zu sein.
     
    Die Hälfte aller Männer im Netz könne ich vergessen, hatte Till mir, auf einmal weniger enthusiastisch, erklärt, nachdem er mein Profil noch an jenem Nachmittag bei »Traumpartner.de« eingestellt hatte. Ich dachte daran, als ich mit der Gießkanne zurück in die Küche ging, noch einmal Wasser holte und mich danach ins Internet einwählte. Seitdem dieses Profil von mir existierte, checkte ich meine Post ungefähr zehnmal täglich. Zweifellos, das Ganze war spannend. Und amüsant. Und frustrierend. Je nachdem aus welchem Blickwinkel man es betrachtete. Sobald ich die Versammlung aus Rechthabern mit dünnen Hälsen, testosterongebeutelten Modern-Talking-Fans, passionierten Smiley-Setzern und Beinah-Analphabeten mit viel Volumen in den Muskeln betrachtete, pendelte ich zwischen beiden unablässig hin und her.
    Ich hatte nicht wenig Post bekommen, aber größtenteils war alles Banane gewesen. Kein Grund zum Jubeln. Allerdings hatte mir niemand versprochen, ich würde auf einen Leo Leike treffen. Es war so, wie Till prophezeit hatte: Die virtuelle Welt spiegelte die reale.
    ***
    Datum: 13.   April 2007 14.51   Uhr
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: Traumprinzen? Oje   …
     
     
    Lieber Robbie,
     
    gerade sind wieder drei Nachrichten gekommen. Eine von
Traumprinz112
, der aussieht wie Mr.   Bean, unglücklicherweise aber nicht dessen Witz besitzt. Die zweite kommt von
Beastmaster69
, der in arg dürftigem Deutsch und noch dürftigerer Interpunktion die Wonnen des A Tergo beschwört, und dann die dritte, deren Verfasser sich schlicht Richard nennt, was mir gefällt, weil auch ich mich nur Undine nenne und auf jegliches zierende Adjektiv verzichtet habe. Richard schrieb:
     
    Liebe Undine,
     
    geht man davon aus, dass wir Fremde sind, die keinen blassen Schimmer voneinander haben, deren Lebenskreise sich bislang in keiner Weise berührt haben und sich ohne dieses Forum hier auch nie berühren würden, ist es schonmerkwürdig, Dir zu schreiben. Halt, nein, so merkwürdig ist es gar nicht, schließlich ist es ja der Zweck dieser Sache, und nachdem ich auf Dein Foto gestoßen bin und darauf eine Frau entdecken konnte, die hübsch ist, intelligent und sensibel scheint, hege ich die leise Hoffnung, ein Sternchen in dieser grauen Graupensuppe gefunden zu haben. Ohne den restlichen Damen und Herren hier zu nahe treten zu wollen – das Gros ist doch eher das, wovon man sich sonst gerne separiert. Ich will ehrlich sein und hoffe, Dich damit nicht zu verscheuchen. Es könnte ja immerhin sein, dass Du einer jener Gutmenschen bist, die für böses Lästern nichts übrig haben und mich sofort von ihrer Liste streichen.
    Ich hoffe, dass dies nicht geschieht. Sondern ganz im Gegenteil: Ich hoffe auf Post.
     
    Einen schönen Tag wünscht Dir
    Richard
     
    Ehrlich, Robbie, das hat doch was, oder? Die Interpunktion stimmt. Die Groß-und Kleinschreibung auch. Und der Text ist nicht ohne – eloquent sogar. Mit Witz.
    Aber wer weiß – vielleicht ist das gar nicht so gut. Irgendwann habe ich Dir das schon einmal geschrieben:
    Die Eloquenten sind meistens die größten Ärsche.
    Entschuldige, aber doch, das ist so! Gut, ich könnte es auch eleganter sagen: Je größer der Geist, desto kälter das Herz.
    Inzwischen reagiere ich mehr als misstrauisch, wenn einer die Bonmots nur so aus dem Ärmel schüttelt, gut temperiert formuliert, nie um das richtige, bezaubernde Sätzchen verlegen ist, und auch nicht um den funkelndenBlick als Accessoire – all das sind klare Indizien für wahres Arschlochtum. Was allerdings nicht heißen soll, dass ich mich jemals davon habe abschrecken lassen. Im Gegenteil: Ich stehe darauf und habe es immer wieder probiert, nur um jedes Mal festzustellen: Eloquenz und Bindungsfähigkeit scheinen sich in 99   Prozent aller Fälle auszuschließen. Frag mich nicht, woran es liegt – Moment, die Frage stelle ich doch lieber Dir,
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