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Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge (German Edition)

Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge (German Edition)

Titel: Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge (German Edition)
Autoren: J. J. Preyer
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KAPITEL 1
     
    Der Mann mit dem schweißnassen Gesicht schlief schlecht. Kaum schien er in einer Position Ruhe gefunden zu haben, wälzte er sich auf die andere Seite, wobei er zischende Laute von sich gab und von Zeit zu Zeit mit grollender Stimme unverständliche Wörter murmelte. Er träumte, und was er träumte, war unerfreulich.
    Dr. Watson, denn um ihn handelte es sich bei dem Mann, lag allein in seinem Ehebett. In Fieberphantasien gefangen erlebte er in jener Nacht immer und immer wieder den Abschied von den wichtigsten Menschen in seinem Leben. Sowohl seine geliebte Frau Mary als auch sein Freund Sherlock Holmes entschwanden für immer. Er streckte die Hände aus, wollte sie zurückhalten, festhalten, sich an sie klammern, aber sie entfernten sich unaufhaltsam von ihm, stürzten mit Gewalt nach unten, wie die schäumenden Wasser der Reichenbach-Fälle, aus denen es kein Entrinnen gab.
    Zunächst standen sie da wie Touristen, die das Naturspektakel bewunderten. Holmes hielt Marys linke Hand in seiner Rechten, freundschaftlich, beinahe liebevoll. Im nächsten Augenblick wurden sie von einer Woge des Gebirgsbaches erfasst und in den Abgrund gerissen.
    Auch Watson spürte die eisige Kälte des Wassers, die Schmerzen im Oberkörper, am Herzen, auslöste. Es schüttelte ihn vor Kälte, obwohl ihm so unerträglich heiß war, dass er schwitzte.
    Dann erwachte John Watson. Er hatte Fieber, musste das Hemd wechseln, das wie ein feuchtes Tuch an seinem glutheißen Körper klebte. Er durfte sich nicht gehen lassen, denn noch bestand Hoffnung. Hoffnung, dass seine Frau und sein Freund am Leben waren. Und wenn das so war, brauchten sie ihn. Er durfte nicht aufgeben, den beiden zuliebe.
    Der Doktor erhob sich und wankte zum Wäscheschrank, dem er ein frisches Hemd entnahm, ging weiter zum Fenster, öffnete es, sog tief die frische Mailuft in die Lungen.
    Es war still draußen. Die nächtliche Ruhe, die vom Regent's Park ausging, drang versöhnlich in die hohen Räume von Doktor Watsons Wohnung. Er begab sich wieder zu Bett und fand sich Minuten später in einem weiteren Traum, in dem ihn jemand anblickte.
    Nein, diese Augen gehörten zu niemandem, den er kannte. Es handelte sich nicht um die hellen blauen Augen seiner Mary und nicht um Holmes' graue Augen, es waren glitzernde, kalte Augen, die ihn aus den Fluten des eisigen und doch so heißen Wassers anstarrten, die Augen eines Reptils, einer Schlange, die aus den Reichenbach-Fällen glitt, auf Watson zu, den ihr Blick gefangen hielt.
    Ihr schmales Maul schien zu lächeln, auf schlaue, heimtückische Weise, ihre Zunge war blau und gespalten. Sie schien etwas zu sagen, aber Watson verstand sie nicht. Das Tosen der Fälle war zu laut, also kniete er nieder und näherte sein rechtes Ohr dem Schlangenhaupt.
    »Du kannst einen von beiden retten«, zischte die Schlange, »indem du den anderen opferst.«
    Nein. Niemals . Watson war sich klar, dass er weder Holmes für seine Frau noch Mary für den Detektiv opfern wollte.
    »Dann sind sie beide tot«, sagte die Schlange.
    »Sie leben nicht mehr. Ich weiß es«, stellte Watson fest.
    »Du irrst«, ließ das Reptil nicht locker. »Sie haben sich verborgen und können wiederkehren, aber nur einer von ihnen.«
    »Du lügst, deine Zunge ist gespalten.«
    »Meine Zunge ist geformt wie bei allen Individuen meiner Art und ich spreche die Wahrheit. Die Entscheidung liegt bei dir.«
    Watson verstummte. Er versuchte sich zu konzentrieren. Wer von beiden war ihm wichtiger? Mary, die er durch seinen Freund Holmes während einer seiner Fälle kennengelernt hatte, oder der Detektiv selbst? Er konnte sich nicht entscheiden. Wenn er versuchte, sich einen der beiden vorzustellen, sah er das Gesicht des anderen. Es gab keinen Unterschied zwischen ihnen, so sehr er sich auch bemühte, einen zu finden.
    »Ich kann nicht. Es ist mir unmöglich. Ich muss auf beide verzichten«, sagte er zur Schlange.
    »Es ist deine Wahl«, erwiderte diese und glitt in das Wasser zurück.
    Als Watson erneut erwachte, schmerzte sein Kopf, er hatte Schüttelfrost und entschied sich, den Rest der Nacht sitzend in einem Lehnstuhl zu verbringen, um von weiteren Albträumen verschont zu bleiben. Am Morgen würde er einen Arztkollegen kommen lassen. Seine eigenen Versuche, das Fieber zu senken, waren gescheitert. Nicht einmal der sonst so wirksame Absud aus Weidenrinde hatte Wirkung gezeigt.
    Bei seinen Patienten hätte Watson demzufolge auf seelische Gründe für die
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