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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer
Autoren: Marie Velden
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welche Banalitäten der Verstand sich fixiert, sobald er nicht mehr weiterweiß.
    Ich war gerade dabei, den Schlüssel ins Schloss zu schieben, als er noch einmal zurückkam. »Auch wenn ich dir damit zu nahe trete«, sagte er über meine Schulter hinweg, »aber wer war der Mann, mit dem ich dich damals in diesem Café gesehen habe? Der dich umarmt hat?«
    Sein Gesicht war ausdruckslos, aber er begann zu lächeln, als ich antwortete: »Das war Till. Er ist seit Jahren mein bester Freund. Ich habe dir schon von ihm erzählt. Mich zu umarmen war in dieser Zeit sein Dauerjob.«
     
    Wenige Tage später rief Christian mich an. Inzwischen hatte er mit der Übersetzung des Romans begonnen, verlor aber kein weiteres Wort darüber. Mir kam es vor, als bemühe er sich, zu klingen wie ein neutraler Bekannter, worüber ich nicht traurig war, denn nach wie vor war ich skeptisch und hatte beschlossen, nichts in ihn oder mich hineinzugeheimnissen, sondern nur das anzunehmen, was wirklich da war. Ich erlaubte mir weder einen Funken Euphorie noch ein Fünkchen Romantik.
    Doch je mehr Zeit verging, desto öfter sahen wir uns. Manchmal nur auf einen Kaffee, zweimal gingen wir ins Kino und ein paar Mal nach den Proben etwas essen. Mein Schreibtisch im Theater quoll über, jeder wollte etwas von mir, denn die Premiere des neuen Stücks war auf Anfang Juni festgesetzt, und die Zeit flog dahin.
    Christian und ich näherten uns auf eine merkwürdig unbeteiligte Art wieder an: Wir redeten viel, klammerten Persönliches aber, so gut es ging, aus. Umso erstaunter war ich, als er eines Abends, während wir bei »Georgios« aßen, plötzlich sagte: »Nach diesem Telefongespräch vor einem Jahr – da war ich mir ziemlich sicher, dass ich dich nicht mehr interessiere als ein Radrennen in der Ukraine.«
    Überrascht ließ ich meine Gabel wieder zurück auf den Teller sinken. »Das hast du schon in dieser E-Mail geschrieben, und ich frage mich, wie du überhaupt darauf kommst. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, wie verliebt ich in dich war.« Ich sagte das in aller Seelenruhe, was mich noch mehr erstaunte.
    »Ich weiß, und so habe ich es auch empfunden, aber dann warst du so distanziert und nüchtern. Auf jeden Fall hast du nicht das geboten, was ich erwartet hätte.«
    »Ja, wenn du meinst, lautes Geschrei sei ein Ausdruck von Liebe   …« Ich zuckte die Achseln und hob die Gabel wieder an.
    Christian lachte. »Ist es das nicht? Reagiere ich etwa seit Jahren auf die falschen Signale?«
    »Wer weiß?«
    »Und dein Schweigen? Was sollte mir das sagen?« Er war rasch wieder ernst geworden.
    Ich blieb so direkt wie zuvor. »Ich konnte nicht flehen, weil jedes deiner Worte unerträglich war. Ich fühlte mich geschlagen. Ein weiteres Nein hätte ich nicht ertragen. Deshalb habe ich geschwiegen. Es lag mir zu viel an dir.«
    »Ich habe das nie so gesehen«, sagte er nach einer Weile.
    »Man lernt eben nie aus.« Ich flüchtete mich in einen Gemeinplatz, um der verfänglichen Situation zu entkommen.
    Eine Weile aßen wir schweigend weiter. Bis ich meinen Mut in beide Hände nahm und fragte:
    »Und bei dir? Wie war das in Wahrheit bei dir? Bevor Isolde gekommen ist.«
    »Das ist nicht so leicht zu beantworten, denn wenn ich zurückdenke, dann scheint sich alles – du, Isolde, dieKrankheit – so miteinander vermischt zu haben, dass ich die Dinge kaum getrennt voneinander betrachten kann. Sie gehören nicht zusammen, dann aber wieder doch. Wie ich damals empfunden habe, kann ich dir nicht genau sagen, aber ich weiß, wie ich jetzt fühle.«
    »Und wie?«
    »Ich hab mich in dich verliebt.«
    Sein Geständnis traf mich vollkommen unvorbereitet. In meinen Augen waren wir so etwas wie Freunde geworden. Ich war so bedacht darauf gewesen, mich nicht
einmal
zu fragen, was ich inzwischen für ihn empfand, dass ich jetzt völlig perplex war. Etwas in mir brach plötzlich auf und mir wurde die Kehle eng. Ich riss die Augen auf, um die Tränen zurückzuhalten. Christian bedeutete mir viel mehr als damals, denn inzwischen hatte ich um ihn gelitten.
     
    Als ich in der Nacht in meinem Bett lag, fiel mir ein, wie ich als kleines Mädchen zum ersten Mal an Fronleichnam Blumen streuen durfte. Ich hatte ein Körbchen voller Stiefmütterchen und Margeriten dabei. Wir verließen die Kirche und noch auf den Treppen, die zum Portal führten, griff ich hinein und hob eine Handvoll heraus, dann die nächste und noch eine – mein Körbchen leerte sich schnell und vor
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