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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer
Autoren: Marie Velden
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Und dann kommst du und erzählst von der gemeinsamen Liebe zu einem Schriftsteller.«
    »Ich dachte natürlich, du erstickst obendrein im Schotter.«
    Er lachte und küsste mich.
    »Welcher ist dein liebster Roman von ihm«, fragte ich eine halbe Ewigkeit später.
    »›Der Menschen Hörigkeit‹.«
    »Und warum?«
    »Das Buch ist ein Meisterwerk. Nein, ich weiß schon, was du meinst«, meinte er einen Moment später, »das sind die anderen auch. Aber in dieser Geschichte gibt es zwei Dinge, die mich nie mehr losgelassen haben.«
    »Die da wären?«
    »Philip Careys Aufenthalt in Paris und Mildred.«
    »Verstehe. Aber ein bisschen ausführlicher darfst du ruhig werden.«
    »Philip Carey hatte denselben Traum wie ich. Er wollte Künstler werden. Maler. Erinnerst du dich, mit welcher Leidenschaft er bei der Sache war? Und dann entdeckt er seine Mittelmäßigkeit.«
    »Und entschließt sich aufzugeben«, fiel ich ein.
    »Ja«, antwortete Christian, den Blick auf die dunkel dahinfließende Isar gerichtet. »Er gibt auf, ohne sicher zu sein, ob dieser Entschluss auf Feigheit oder Mut beruht. Auf diesem Mut, sich für die Vernunft zu entscheiden und damit gegen etwas, das man liebt.« Christian schwieg und zündete eine Zigarette an, bevor er fortfuhr. »So ging es mir selbst. Ich wollte immer Schriftsteller werden und habe es ein paar Mal versucht, aber es kam nichts Richtiges dabei heraus. Es nutzt ja nichts, einigermaßen stilsicher zu sein und einen geraden Satz schreiben zu können, du brauchst den Blick für Geschichten, du musst sie
erzählen
können, und genau das kann ich eben nicht. Kennst du sie auch, diese Sorte Mensch, die von der Bedeutung ihres Daseins derart überzeugt ist, dass sie bei jeder Gelegenheit von der Unübertroffenheit ihres Lebens vorschwärmt, immermit dem Zusatz, darüber unbedingt einmal ein Buch schreiben zu müssen? Als sei ein Roman nicht mehr als die Aneinanderreihung banaler Episoden.« Ich spürte, wie er sich in Rage redete. »Es genügt noch lange nicht, auf einem Dach zu stehen, um fliegen zu können.«
    Ich musste lachen. »Ich weiß, was du meinst. Ich habe diesen Schwachsinn häufig genug gehört. Nur mit dem Unterschied, dass jeder, der ein Gedicht oder einen Witz aufsagen kann, meint, er sei der geborene Schauspieler.«
    »Vielleicht liegt es daran, dass Kunst nicht messbar ist, es keine Norm dafür gibt. Niemand, der schon einmal Brot geschnitten hat, würde doch sagen, er wolle demnächst operieren.« Er schwieg wieder einen Augenblick lang, bevor er fortfuhr: »Aber zurück zu Maugham. Jedes Gefühl, jedes Wort, das er für Philip Carey hatte, war mir so vertraut, als hätte er es mir aus der Seele geschrieben.«
    »Ich weiß, was du meinst«, erwiderte ich. »Ich habe seine Bücher immer wie im Rausch gelesen. Innerlich war ich permanent am Jubeln und saß mit dem Bleistift da, um einen Satz zu unterstreichen. Und dann noch einen und noch einen.«
    Christian lachte leise und zog an seiner Zigarette.
    »Warum Mildred?«, fragte ich und rückte dichter an ihn heran.
    »Ich hatte meine eigene Mildred. Katrin hieß sie. Als ich sehr jung war. Kaum zwanzig. Ich hatte gerade mit dem Studium begonnen und genau wie Mildred im Roman kellnerte sie in meiner Stammkneipe. Sie war sehr hübsch und wollte hoch hinaus. Tänzelte um die Typen mit protzigen Schlitten und dickem Portemonnaie herum wie eine Wilde ums goldene Kalb. Ich fuhr neben dem Studium Taxi und war nicht gerade das, wonach sie sich die Finger leckte, abersie hatte schnell raus, wie verrückt ich nach ihr war und dass sie alles von mir haben konnte,
ohne
zu tänzeln. Und   …«
    »Und?«
    »Wir waren eine Weile zusammen. Aber es war zermürbend, nichts, was beflügelte. Sie tauchte auf, wie es ihr passte, und verschwand wieder. Ein paar Mal sagte sie mir, sie sei eben so und könne nicht anders. Wenn ich wollte, dass sie bliebe, müsse ich das akzeptieren. Ich konnte nicht aufhören, an sie zu denken, aber ich war nie glücklich dabei. Es war grauenvoll und demütigend. Ich erinnere mich an eine Stelle im Roman, wo es heißt: ›Wenn sie von ihm fortging, war er elend, wenn sie wieder da war, verzweifelt.‹ Genau so empfand ich es.«
    »Und dann.«
    »Nichts und dann. Eines Morgens kam sie völlig verheult an und sagte, sie sei mit ihrer Miete über Monate im Rückstand, und wenn sie nicht sofort bezahlen würde, flöge sie aus der Wohnung. Ich war so dumm. Ich hatte ein paar tausend Mark von meiner Großmutter geerbt
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