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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen
Autoren: Frank Goosen
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floß noch kein Alkohol, und wenn, dann nicht besonders viel, ich habe jedenfalls nichts davon mitbekommen. Die Tische und Stühle hatte Schäfer rausgeräumt, und in den Ecken lagen jetzt Matratzen ohne Laken, und Mücke machte Bemerkungen über die Flecken auf den Dingern.
    Ich kannte das Mädchen nicht, das plötzlich neben mir saß, aber sie war mir beim Tanzen aufgefallen. Sie tanzte ziemlich viel. Sie hatte blonde Haare, zu vielen kleinen Locken verdreht. Sie trug eine weiße Bluse und schwitzte. Sie hatte ziemlich große Brüste, und es schien ihr nichts auszumachen, daß man das sehen konnte. Sie trank Cola aus einer fast leeren Literflasche. Etwas lief ihr am Kinn herunter, und dann bot sie mir die Flasche an, aber ich wollte nicht, weil meine Mutter mir erzählt hatte, daß immer etwas Speichel in die Flasche hineinläuft, wenn man daraus trinkt.
    Die Musik war sehr laut, und das Mädchen schrie mir etwas zu, das ich nicht verstand, und sie lachte, also nickte ich. Sie rutschte etwas näher und schrie mir ins Ohr, ob ich die Party auch toll fände und daß sie Jasmin heiße. Ich dachte, das hört sich ja an wie ein Parfüm, und ich schrie ihr meinen Namen ins Ohr und daß ich die Party auch toll fände. Bis hierhin war alles einfach. Dann saßen wir nur so da und sagten beide nichts. Ich hatte das Gefühl, sie lehne ihre Schulter an meine, aber das konnte auch Einbildung sein. Was war jetzt zu tun? Ich kam mir wieder vor wie an der Supermarktkasse. Sollte ich einen halben Meter Karamel aus geflochtener Schokolade ziehen? Oder lieber erst eine Waffelplatte von der Füllung nagen? Sollte ich mir eine Zigarre aus Goldpapier gönnen? Oder hatte ich es mit einer Bausatzüberraschung in einem Ei zu tun? Es gelang mir nicht einmal, das alles auf zwei Alternativen einzugrenzen.
    Dann plötzlich lag ihre Hand auf meiner.
    Ach du Scheiße!
    Was jetzt?
    Meine Hand schwitzte, auch auf dem Rücken. Mußte ich jetzt mit ihren Fingern spielen? Fest stand, daß ich irgend etwas tun mußte. Aber was? Schweiß lief mir die Wirbelsäule hinunter. Ich hatte die Chance, hier etwas zu erleben. Diese Chance durfte ich nicht versauen. Sollte ich erst ihre Hand streicheln und dann ihren Oberschenkel? Und dann? Mußte ich sie dann küssen? Aber dann hätte ich ja gleich aus der Flasche trinken können, wegen der Spucke. Mußte ich meinen Arm um sie legen? Mußte ich ihr an die Brust gehen? Mußte ich sie nach Hause bringen? Wo sie wohl wohnte? Vielleicht am anderen Ende der Stadt, und zurück fährt vielleicht kein Bus mehr, und ich muß stundenlang laufen und kriege Ärger mit meinen Eltern, weil ich viel zu spät komme. War das Mädchen mit dem Parfümnamen das wert? O Gott, sie hatte gerade mal ihre Hand auf meine gelegt, und schon hing da ein Rattenschwanz an existentiellen Entscheidungen dran!
    Unter meinen Achseln entstand ein Bodensee aus Schweiß.
    Und dann dachte ich daran, daß Mücke mich vielleicht beobachtete, obwohl ich ihn nicht sehen konnte, also mußte jetzt dringend etwas geschehen, denn sonst konnte ich mir tagelang das Gequengel anhören, daß ich zu blöd sei, mich an Weiber ranzumachen und was weiß ich nicht noch alles, also packte ich ihre Hand und wollte sie streicheln, aber irgendwas stimmte nicht, denn sie schrie auf, und das hörte man im ganzen Raum, denn in genau diesem Moment war ein Song zu Ende und der nächste hatte noch nicht angefangen, es war wie in der Doornkaat-Werbung, und alle sahen zu mir hin, und das Parfümmädchen sprang auf und sagte noch etwas zu mir, aber da lief schon wieder Musik, und ich konnte es nicht verstehen, und dann war sie weg.
    Glücklicherweise hatte Mücke nichts mitbekommen, denn er war gerade auf dem Klo. 
     
    Die achtziger Jahre waren keine gute Zeit, um erwachsen zu werden, jedenfalls keine Zeit, auf die man voller Sentiment zurückblicken kann. Schlaghosen, Clogs, Abba, Ilja Richter – die siebziger Jahre hatten Charme, da kam noch was aus den Sechzigern rüber, vielleicht sogar die Ahnung der Idee, die Welt könne besser werden. Die Achtziger hatten so etwas nicht. Auf den Illustrierten waren entweder nackte Frauen oder Atompilze, manchmal beides, und man wußte oft nicht, was schlimmer war.
    Wie alle anderen Jungs in den Jahrtausenden zuvor taten wir damals eine Menge, um Mädchen zu beeindrucken. Plötzlich trugen wir zum Beispiel Bäckerhosen. Wir machten zwar Abitur, um einen Job zu kriegen, bei dem man gerade nicht mitten in der Nacht aufstehen und mit
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