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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen
Autoren: Frank Goosen
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seinen Händen arbeiten mußte, aber wir trugen Bäckerhosen. Es gab unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Hosen sitzen mußten. Manche meinten, sie könnten nicht weit genug sein, so daß man Bierflaschen drin unterbringen konnte, ohne daß es auffiel. Der Stil kam aus England: Baggy Trousers. Es gab einen Song von Madness, der so hieß.
    Andere wiederum meinten, die Bäckerhosen müßten knalleng anliegen. Man durfte sie kaum über den Spann und die Ferse bekommen, und am Hintern mußten sie so straff sein, daß man ein Fünfmarkstück zwischen die Arschbacken klemmen können mußte. Adidas-Basketball-Schuhe, weiß mit schwarzen Streifen, waren eine mögliche Ergänzung.
    Meine Bäckerhose lag irgendwo in der Mitte. Die knallenge Variante traute ich mir ebensowenig zu wie die extrem weite. Überhaupt fand ich Bäckerhosen nicht besonders schick, aber sie waren billig, und das freute meine Mutter.
    Musik war wichtig, um an Mädchen ranzukommen. Man mußte sich auskennen. Und in dem präakademischen Milieu unserer Schule, wo viele Mädchen aus Professorenfamilien kamen, durfte es nicht einfach Chart-Futter sein. Madness waren in Ordnung. Die waren in den Charts, und vor allem in England der Hit, aber sie waren noch ungewöhnlich genug, daß es schmückte, sich zu denen zu bekennen. Auch Fischer Z. waren in Ordnung. Wegen »Berlin« und »Marliese« und »In England«.
    Under the red skies of Paradise: Down in the bunkers under the sea, men pressing buttons, don’t care about me.
    Es war schlimm, es war »The day after«, alle waren tot, alles war verseucht, aber man konnte dazu tanzen.
    Auch Dylan war okay, schon wegen »With God on our side«, wo er gegen die Deutschen wetterte. Allerdings ließ er bei Live-Auftritten, wenn er »With God…« spielte, die deutsche Strophe mittlerweile weg.
    Though they murdered six millions, in the ovens they fried, the Germans now too have God on their side.
    Das beeindruckte uns. Er hatte recht.
    Noch besser, als sich mit Musik auszukennen, war allerdings, Musik selbst zu machen. Gitarre spielen brachte einen an Mädchen heran. Und in Liedern konnte man Dinge bekennen, die sich kitschig angehört hätten, wenn man sie ausgesprochen hätte, zumal man sie auf englisch singen konnte, und das war nie kitschig, sondern cool. Wenn man sich nicht traute, richtig von Liebe zu singen, sang man gegen das Böse in der Welt, also gegen Nazis und Amerikaner. Mücke fand das natürlich bescheuert. »Du willst gegen Amerikaner singen? Gegen Gebäck?« Außerdem konnte man noch gegen sauren Regen und Waldsterben singen, auch wenn Mücke meinte, das mit dem Waldsterben sei nur eine große Lüge.
    Ich kriegte meine Eltern dazu, mir eine Gitarre zu kaufen. Wenn man sich korrekt ausdrücken wollte, nannte man die Gitarre »Klampfe«. Das hörte sich altmodisch an, nach Mittelalter und Minne. George Harrison hat mal gesagt, er habe sich das Gitarrespielen selbst beigebracht, und das versuchte ich auch. Bis tief in die Nacht hockte ich da und arbeitete mich an A-Dur, D-Dur, G-Dur ab, bis meine völlig entnervten Eltern drohten, meine »Klampfe« bei der nächsten Gartenparty als Grillanzünder zu verwenden. Von da an übte ich heimlich, unter der Bettdecke. Aber unter der Bettdecke lesen war schon schlimm genug. Unter der Bettdecke mit einer großen Gitarre herumfuhrwerken, das hatte etwas Erniedrigendes. Ich versuchte es unter dem Bett. Aber die Gitarre paßte nicht zwischen meinen Bauch und den Lattenrost. Dann schlich ich manchmal in den Keller, aber von meinem Gewimmere fielen Spinnen und Asseln tot von der Wand, und das wollte ich dann auch nicht.
    Also nahm ich doch Unterricht. Meine Eltern übernahmen dankbar die Kosten. Nicht, daß sie meinem Talent vertrauten, nein, sie waren einfach froh, daß ich nicht im Hause war. Ich ging in ein Jugendzentrum in einem anderen Stadtteil, und um das Geld für die Straßenbahn zu sparen, ging ich zu Fuß. Ich war eine Dreiviertelstunde unterwegs.
    Das Haus war ein altes Amtshaus aus der Jahrhundertwende. Ich kam in einen Flur, in dem ein paar Plakate an den Wänden hingen, die zum Sommerfest der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend einluden, und ein paar handgeschriebene Zettel, auf denen alte Platten, Bohrmaschinen und Autos zum Verkauf angeboten wurden. Am Telefon hatte man meiner Mutter gesagt, ich solle in den ersten Stock gehen und dann in den ersten Raum auf der linken Seite. Das tat ich. Dort lag ein Mann auf dem Boden, der hatte lange,
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