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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale
Autoren: D Thomas
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schwieg, und Leah musterte ihn liebevoll.
    »Gib ihm wenigstens eine Chance ... Geoffrey ist ein netter Mann. Und er hat dich sehr gern.«
    »Er will, dass ich Dad zu ihm sage – der kann mich mal!«
    Leah verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Dieser verdammte Geoffrey. »Komm her.«
    Michael machte keine Anstalten, sein Spiel zu unterbrechen.
    »Komm her, hab ich gesagt!«
    Genervt erhob er sich vom Boden. Leah nahm ihn in den Arm, wollte seine Stirn küssen. Michael wehrte sich, doch Leah hielt ihn fest.
    »Ich bin deine Mutter, ich habe auch Rechte. So!« Sie drückte ihm einen dicken Kuss auf die Wange. »Das mit dem Internat war nur Erpressung, stimmt’s?«
    Er verzog keine Miene.
    »Miststück.« Leah kitzelte ihn ein wenig, um ihm zumindest eine kleine Reaktion zu entlocken.
    »Was willst du überhaupt mit dem? So ’n Langweiler – hat keine Ahnung von Kindern. Weißt du, was er mir geschenkt hat? Ein Buch!«
    »Oh nein, furchtbar – wie konnte er nur?«
    »Einen Gedichtband! Glaubt er, ich bin schwul? Normale Jungs lesen keine Gedichte, normale Jungs lesen nur, was in der Schule verlangt wird, sonst ist man ein Schleimer«, gab ihr Sohn im Brustton der Überzeugung von sich.
    »Das ist zu hoch für mich, Michael, das musst du mir morgen noch mal erklären, aber jetzt marsch ins Bett.« Erneut verpasste sie ihm einen Kuss, den er sich sofort von der Wange wischte. »Sehr merkwürdig, was in deinem Hirn so alles vor sich geht, nein wirklich ...«
    »Wann krieg ich einen Hund?«, unterbrach er Leah, während die seine dreckigen Jeans vom Boden aufsammelte.
    »Nicht schon wieder, bitte, ich dachte, wir hätten es ausdiskutiert!«
    »Haben wir nicht«, konterte Michael. »Du magst keine Tiere, aber ich mag sie. Zählt deine Stimme mehr als meine, ist das Demokratie?«
    »Ich mag keine Tiere? Wer hat behauptet, dass ich keine Tiere mag? Ich liebe sie. Nur pinkeln sollen sie gefälligst auf die Teppichböden anderer Leute, nicht hier.«
    »Ich führe ihn doch aus, drei-, viermal am Tag, sooft du willst.«
    Während Leah schnell noch das Bett frisch bezog, erinnertesie ihren Sohn an die süßen Salzwasserfischlein, deren Aquarium er nach nur einer Woche zur Basis für das Captain-Nemo-U-Boot umfunktioniert hatte, und an den blau-gelben Wellensittich, den er als Brieftaube auf Nimmerwiedersehen in die Landschaft entließ. Zwei zu null für sie, Diskussion beendet.
    Als Leah ins Wohnzimmer zurückkehrte, waren Madeleine und Nick gerade dabei, die Reste des Abendessens zu verspeisen, während Geoffrey das Material sichtete, das Nick für sie gesammelt hatte.
    »In meinen Augen ist der Kerl ein Pirat. Er war einer, und er wird immer einer sein. An der Börse, wie er seine Anleger ausgeraubt hat, ich wette ...«
    Leah grüßte Nick und Madeleine nur flüchtig und verschwand in die Küche.
    Geoffrey hatte den Stimmungswechsel bei ihr noch nicht bemerkt. »Ich wette«, fuhr er fort, »er finanziert seinen aufwendigen Lebensstil mit dieser Spendenmasche. Mit so spektakulären Auftritten zieht er doch reihenweise Leute in den Bann. Rammt ein harmloses Fischerboot, wo gibt’s denn so was.«
    »Geoffrey, hilfst du mir mal?«, war Leah aus der Küche zu vernehmen.
    »Fischerboot ist leicht untertrieben. Es war ein Walfangschiff.« Die Bemerkung konnte sich Madeleine nicht verkneifen.
    »Klar, natürlich, macht sich auch viel besser. Ist zwar seit Langem verboten, dort Walfang zu betreiben, aber die bösen Walfänger pfeifen ja bekanntlich drauf. Also spendet ihr Trottel. Und rettet die Meere.«
    Geoffrey ging in die Küche und sah, wie Leah versuchte, eine Flasche Wein zu entkorken. Er wollte sie ihr aus der Hand nehmen, doch Leah ließ es nicht zu. Erst jetzt sah er Leahs nach unten gezogene Mundwinkel. Oh, oh, dicke Luft.
    »Was ist jetzt wieder los?«
    »Hast du Michael gesagt, er soll Dad zu dir sagen?«
    »Und?«
    Leah warf Geoffrey einen bitteren Blick zu und ging mit der Flasche zu den anderen. Geoffrey seufzte. Was er auch tat, es war verkehrt. Warum sollte sich der Junge nicht schon beizeiten daran gewöhnen? Konnte es was schaden? Nein. Musste sie immer alles so überbewerten?
    »Weiß nicht, Veruntreuung von Spendengeldern klingt nicht sehr spannend. Ist das wirklich ’ne Story wert?«, fragte Madeleine.
    Da hatte sie nicht ganz unrecht, was wäre schon, wenn genau das bei ihren Recherchen herauskäme? Leah reichte die Flasche Nick, der Wein nachgoss, während sich Geoffrey schweigend auf seinen Platz setzte
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