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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale
Autoren: D Thomas
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ihn töten sollte, riss ihm nur das linke Ohrläppchen ab. Geistesgegenwärtig stürzte Masao sich ins Wasser und tauchte nicht wieder auf, bevor er das erstbeste Boot erreicht hatte – die »SeaSpirit«.
    Damals hatte er David unterschätzt, hatte gehofft, ihn mit einer Lügengeschichte einwickeln zu können, erzählte irgendwas von einem gehörnten Ehemann, der sich an ihm rächen wollte. Doch kaum zwei Tage, nachdem die »SeaSpirit« den Hafen verlassen hatte, war David klar, dass Masao an der Nadel hing. Er stellte ihn vor die Wahl: entweder Entzug oder von Bord. Masao entschied sich für Ersteres. Also schloss ihn David so lange in seiner Kajüte ein, bis Masao die schlimmsten Tage hinter sich hatte. Es war eine Tortur, der Realität gewordene Albtraum, doch seitdem war Masao nicht wiederzuerkennen. Er war die Droge los, sein Ohrläppchen sowieso, nur der »van Gogh« war ihm bis heute geblieben. Sam hatte ihn damals so getauft, »neues Leben, neuer Name«, und ein neues Leben war es allemal. Seine neue »Sucht«, wenn man sie als solche bezeichnen wollte, war die Rettung von Flora und Fauna, der er sich mit Haut und Haaren verschrieben hatte. Umso mehr wurde jeder Einsatz für ihn zu einem ganz persönlichen Kampf, in dem er beweisen konnte, dass er ein ernstzunehmender Streiter für die gute Sache war.
    Kaum war Steve verschwunden, um die Zodiacs startklar zu machen, nahm David die anderen beiseite.
    Joe wusste sofort, was in Davids Kopf vor sich ging. »Steve wird ausrasten, das ist dir klar.«
    »Nur für den Fall. Ich verlass mich auf dich.«
    Masao strahlte, Joe beließ es bei einem kurzen Nicken – so gefiel ihm das Ganze schon besser. In einem Krieg gab es Regeln, und eine davon lautete: Lass dich nie überraschen, sei deinem Gegner einen Schritt voraus. Nur, dass es sich hier nicht um einen Krieg handelte. Doch diesen feinen Unterschied ignorierteJoe ganz einfach. Sam teilte seine Einstellung: Ein Ass im Ärmel zu haben konnte nie verkehrt sein.
    »Na dann los, van Gogh, holen wir die verdammten Netze.«
    L eahs Geduld kannte durchaus Grenzen. Ihr neunjähriger Sohn starrte auf sein nicht angerührtes Abendessen und schwieg beharrlich.
    »Michael, ich red mit dir. Was ist los?«
    Leah ahnte bereits, worum es ging. Ihre Schuld. Vermutlich hatte sie zu lange damit gewartet, ihren Filius mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass es in ihrem Leben wieder einen Mann gab. Und dieser Mann war nun mal Geoffrey. Doch daran wollte sich der Junge einfach nicht gewöhnen, obwohl Geoffrey wirklich sein Bestes gab: »Sag mal, was hältst du davon: Wir gehen Samstag zum Yankees-Spiel, Männerabend, nur wir beide?«
    Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, stand Michael auf, ging in sein Zimmer und trat als Antwort die Tür hinter sich zu.
    »Ist er immer so oder nur, wenn ich da bin?«, wollte Geoffrey wissen.
    »Du verstehst das nicht.« Leah hasste es, zwischen den Fronten zu stehen.
    »Was gibt’s da zu verstehen – er kann mich nicht leiden, basta ... Weiß er, dass wir verlobt sind?«
    »Wir sind nicht verlobt, Geoffrey, wir schlafen nur miteinander.«
    »Ich hab dir einen Heiratsantrag gemacht, und du hast nicht Nein gesagt. Wir sind verlobt, die Tatsachen sprechen für sich.«
    »Ungeheuer romantisch, so ein Heiratsantrag per E-Mail, ich war zu Tränen gerührt.«
    Das Verhalten ihres Sohnes beschäftigte Leah mehr, als sie Geoffrey gegenüber zugab. Auch wenn Michael das vehementbestritten hätte, es brauchte einen Mann im Haus, damit der Junge sich wieder als das fühlen konnte, was er war: ein Kind, nicht ihr Beschützer.
    Leah wurde vom Klingeln an der Tür in ihren Gedanken unterbrochen – Nick und Madeleine kamen früher als erwartet.
    »Ich sag dem Kleinen nur gute Nacht ... Die beiden sollen sich schon bedienen.«
    Als Leah nach einem kurzen Klopfen Michaels Zimmer betrat, spielte er mit seiner Playstation. Leah setzte sich auf sein Bett. Daneben, auf dem kleinen Schreibtisch, befand sich das Foto von Michael und seinem verstorbenen Vater. Er war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.
    »O. k., raus mit der Sprache.« Es war keine Aufforderung, eher der Versuch, eine Brücke zu schlagen.
    »Ich will ins Internat.«
    »Ins Internat. Aha. Darf ich fragen, woher dieser plötzliche Sinneswandel kommt?«
    »Ist besser für mich. Darum!« Michaels Stimme klang gepresst.
    »So, so. Inwiefern besser für dich? Besser fürs Lernen, besser, um neue Freunde kennenzulernen, hilf mir mal auf die Sprünge.«
    Michael
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