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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition)
Autoren: K.A. Milne
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Geschichte eine Menge mit Anna und mir zu tun. Besonders Kunstgeschichte. Sie hatte erst vor Kurzem ihr Studium der Kunstgeschichte abgeschlossen und betrachtete ihre Reise durch Europa nun als praktischen Anschauungsunterricht mit hohem Erlebniswert. Als wir an jenem Nachmittag aus der Straßenbahn ausstiegen, gestand sie, dass sie im ersten Studienjahr eine ausführliche Hausarbeit über Friedensreich Hundertwasser geschrieben hatte. Anna plapperte munter darauflos, während Magda lustlos hinter uns her trödelte. Sie erzählte Dinge über den Künstler Hundertwasser, die ich »unbedingt wissen müsse«, um die vor uns liegende qualmende Verbrennungsanlage überhaupt »würdigen« zu können. Unter anderem, dass Hundertwasser der Sohn eines jüdischen Vaters war, der sich während des Zweiten Weltkriegs als Katholik ausgegeben hatte. Oder dass er sich der Hitler-Jugend angeschlossen hatte, um nicht ins KZ geschickt zu werden. Geschichten wie diese hatten offenbar seine architektonischen Ambitionen beeinflusst.
    Anna verbrachte zwei Stunden mit der Betrachtung der seltsamen Anlage und wies uns mehrfach auf die komplexe Gliederung der einzigartigen Gestaltung und Kunstform des Bauwerks hin.
    Ich dagegen konzentrierte mich in diesen zwei Stunden eher darauf, Annas Formen und die komplexe Gliederung ihrer Erscheinung zu studieren.
    Anna war eine Schönheit. Wallendes Haar. Strahlende Augen. Schön geschwungener Nacken. Zierliche Hände. Vollkommen geformte Beine. Die Leichtigkeit ihres Schritts. Ihr Lächeln war offen und ehrlich. Und wenn sie gelegentlich den Blick auffing, mit dem ich sie und nicht Hundertwassers Kunstwerk bedachte, dann reagierte sie bescheiden, wirkte geschmeichelt, aber keineswegs arrogant, anders als ich es von einem so auffällig attraktiven Mädchen erwartet hätte. Von Musik abgesehen, wusste ich nicht viel über Kunst, aber selbst mir war klar, dass sie im Vergleich mit den eher plakativ zu nennenden Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts, die ich bisher gekannt hatte, ein echter da Vinci war.
    Nachdem Anna beschlossen hatte, genug von der Müllverbrennungsanlage gesehen zu haben, machten wir uns zu dritt auf den Rückweg zur Haltestelle. Dort warteten wir auf die nächste Straßenbahn und stiegen ein paar Haltestellen weiter in die U-Bahn um, die in die Innenstadt führte. Wir fanden ein malerisches Café unter Sonnenschirmen an der Mariahilfer Straße, unweit des Leopold Museums im Museumsquartier, wo wir uns in der warmen Sommerluft bei einem kühlen Getränk unterhielten.
    Anna rührte mit dem Strohhalm in den Eiswürfeln ihrer Limonade. »Also, damit ich das richtig verstehe«, sagte sie und versuchte wohl ein paar Dinge in Einklang zu bringen, die ich zuvor erzählt hatte. »Du hast einen Abschluss in Musiktheorie, möchtest aber kein Musiklehrer werden. Du hast ein paar Semester Gitarre studiert, hast aber keine Ambitionen, ein Konzertgitarrist zu werden. Und jetzt machst du deinen Master in Musikwissenschaft, hast aber nicht vor, damit was anzufangen?«
    Bei dem letzten Gespräch mit meinem Vater – vor über zwei Jahren vor meiner Abreise nach Österreich – hatte er ähnliche Bemerkungen gemacht, doch aus Annas Mund klangen sie weniger abwertend. »Das heißt nicht, dass ich nicht von dem profitieren möchte, was ich gelernt habe«, erwiderte ich. »Meine Ausbildung führt mich nur nicht direkt zu einem bestimmten Beruf. Für das, was ich machen möchte, gibt es keinen konkreten Studiengang.«
    »Klingt interessant. Darf ich erfahren, was das ist?«
    Ich trank einen kräftigen Schluck Almdudler. Meine Familie – Tanten, Cousins und so weiter – hatten seit Jahren versucht, herauszubekommen, was ich mit meinem Leben vorhatte. Ich wollte es ihnen nie sagen – aus Angst, sie könnten behaupten, ich hätte keine Chance. Selbst Großvater Bright wusste nicht genau, welche Pläne ich hatte, auch wenn er es vielleicht vermutete. »Versprichst du, nicht zu lachen?«
    »Ich schwöre!« Sie hob zwei Finger in die Luft.
    »Ich werde vermutlich lachen«, erklärte Magda, die noch immer schmollte, weil sie uns auf dem Trip zur Müllverbrennungsanlage hatte begleiten müssen.
    Wir achteten beide nicht auf sie.
    Ich weiß nicht, warum ich Anna so bereitwillig von meinen Zukunftsplänen erzählen wollte. Ich hatte sie nie jemandem verraten. Und plötzlich sprach ich mit einer Frau über meine Träume, die ich erst seit drei Stunden kannte. Vielleicht war es die Überzeugung, sie nie wieder
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