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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition)
Autoren: K.A. Milne
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hob ich den Blick, um die Reaktion der Menge zu testen. Nur … drei Personen waren kaum eine Menge.
    Und es lag keine einzige Münze im Gitarrenkasten.
    Der Einzige, der stehen blieb, war ein junger Mann Anfang zwanzig. Er hatte die Hände tief in den Taschen vergraben und einen dicken, handgestrickten Schal um den Hals geschlungen. »Dat was wery güt«, sagte er mit deutlichem österreichischen Akzent. »You are Amerikaner, was?«
    »Woher wissen Sie das?«
    Er zuckte die Schultern. »Sie sehen einfach aus wie ein Amerikaner. Wollen Sie meinen Rat hören?«
    »Bitte.«
    »Kennen Sie Stücke, die … ehm … populärer sind?«
    »Populärer?«
    »Ja. Mit schnellerem Rhythmus. Mit mehr Pep!«
    »Pep?«
    »Pep.«
    »Hm … natürlich.« Im Geiste ging ich hastig die Liste der Stücke durch, die ich vorbereitet hatte. Aber die waren sämtlich so langsam und melancholisch wie der Debussy. Sie waren schwierig zu spielen, aber ohne Tempo und mitreißende Klangfolgen, was mein Zuhörer vermutlich mit »Pep« gemeint hatte. Dann fiel mir plötzlich eines der ersten neoklassischen Stücke ein, die ich gelernt hatte. »Ich hab’s«, sagte ich. »Die Bohemian Rhapsody von Queen.«
    Er nickte lächelnd. »Dat should do it.«
    Ich wärmte die Hände mit meinem Atem und begann zu spielen. Der Anfang war langsam, aber eingängig und schlicht. Ich hielt die Augen diesmal geöffnet, um die Reaktion der Passanten besser einschätzen zu können. Und tatsächlich: Sobald sie die vertrauten Klänge erkannten, blieben sie stehen und hörten zu. Und als die Leitmelodie einsetzte und Tempo aufnahm, während meine Finger über die Seiten flogen, wuchs die Menge der Schaulustigen stetig an.
    Und sie wuchs weiter.
    Einige schlossen die Augen, um sich ganz auf die Musik zu konzentrieren. Andere starrten auf meine Hände, offenbar beeindruckt von der Geschwindigkeit, mit der meine Finger über den Gitarrenhals tanzten. Einige bewegten nur die Lippen, sangen stumm den Text mit. Der Mann, der mir diesen Rat gegeben hatte, bewegte den Kopf im Rhythmus der Musik. Er machte einige Schritte rückwärts, um mich nicht abzulenken. Noch vor Ende des Stückes traten mindestens fünf Leute vor und warfen Geld in den Gitarrenkasten. Als die letzte Note verklang, machten sich weitere drei bereit, meine Mühe zu belohnen. Ich dankte allen mit einem höflichen Nicken und einem Lächeln.
    »Vell«, sagte der Mann, als sich die glückliche Menge verlief, »I tink you found your moneymaker.«
    »Da haben Sie vermutlich recht«, antwortete ich. »Danke.«
    Ich habe in diesem Moment nicht nachgezählt, aber auf den ersten Blick sah es so aus, als lägen mindestens zweihundertfünfzig Schillinge in Münzen und Scheinen in meinem Gitarrenkasten. fünfundzwanzig Dollar! Für ein Stück!
    Von diesem Augenblick an waren meine Finanzen kein Problem mehr. Ich schwamm zwar nicht in Geld, aber pleite war ich auch nicht mehr. Immerhin hatte ich genug für regelmäßige Mahlzeiten und öffentliche Verkehrsmittel, und es blieb auch etwas für das Vergnügen übrig.
    Mehrere Tage in der Woche stieg ich von da an mit Karl in die U-Bahn und fuhr jene zahlreichen, für die Touristen reizvollen Sehenswürdigkeiten ab, die ich vor der Ebbe in meiner Kasse meist selbst frequentiert hatte. Nicht immer waren meine Darbietungen so einträglich wie bei der Premiere auf dem Stephansplatz. Die Zuschauer kamen gelegentlich nur spärlich, und der Erlös war noch dürftiger. Doch dann kamen Tage, da das Geld aus ihren Taschen nur so sprudelte, was mich mehr als genug für die enttäuschenden Auftritte entschädigte.
    Ich stellte bald fest, dass drei oder vier mitreißende Songs für eine »Vorstellung« genügten. Die meisten Passanten blieben sowieso nur zehn oder fünfzehn Minuten stehen, sodass ich mein Repertoire immer wieder von Neuem beginnen konnte. Ich setzte dabei auf Stücke mit »Pep« und beendete die jeweilige Runde stets mit der Bohemian Rhapsody . Auch wenn die anderen Songs kaum mehr als ein paar interessierte Zuhörer anlockten, dieses Stück ließ stets die Kasse klingeln.
    Dem Himmel sei Dank für Freddie Mercury!
    Für den Rest des Semesters bis in den Frühling spielte ich weiter auf der Straße und studierte. Während des Sommersemesters war mein Vorlesungsplan angenehm entspannt und ließ mir mehr Zeit, Geld als Straßenmusiker zu verdienen. Wie erwartet, brachte die warme Jahreszeit einen erheblichen Anstieg an ausländischen Touristen, was sich in den Geldbeträgen
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