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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition)
Autoren: K.A. Milne
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besuchen wollte, wo Großvater im Krieg mit seiner Gitarre gewesen war. Niemand in meinem Leben hatte je größeren Einfluss auf mich als Großvater, und Karl war Teil unserer Beziehung. Mit der Entscheidung für Österreich, wo Herbert Bright und Karl zueinandergefunden hatten, war daher ein Traum Wirklichkeit geworden.
    Nach der Ankunft in Europa und dem Beginn meines Musikstudiums in Österreichs Hauptstadt, saugte ich erst einmal gierig alles in mich auf: Sehenswürdigkeiten, Atmosphäre und Kultur meiner neuen Umgebung. Während des ersten Semesters verbrachte ich meine Freizeit fast ausschließlich damit, Tourist zu spielen. Was es in und um Wien zu sehen gab, ich habe es gesehen. Ich war mehrfach in der Oper, verbrachte zahllose Stunden in Stephansdom und Karlskirche, besuchte mehr als einmal Schloss Schönbrunn – die beeindruckende Residenz der Habsburger, für über sechshundert Jahre Regenten des Kaiserreichs Österreich. Ich habe die Lipizzaner in der Hofreitschule gesehen, die Wiener Sängerknaben gehört, das Sigmund-Freud-Museum und so viele Burgruinen aus dem frühen Mittelalter erkundet, dass dies für ein ganzes Leben ausreicht. Vor dem Wintereinbruch machte ich eine Paddeltour auf der Donau, und während eines verlängerten Wochenendes fuhr ich mit einem Zug nach Süden über die Alpen nach Graz, um die Stadt zu besuchen, in der Arnold Schwarzenegger aufgewachsen war.
    Wie gesagt, was zu sehen ist, habe ich gesehen.
    Leider kosten all diese touristischen Aktivitäten Geld, und davon hatte ich nicht gerade viel. So kam es, dass ich am Tag vor Weihnachten restlos pleite war, nachdem ich eine exorbitante Summe für ein Konzert von Diana Ross mit den Wiener Symphonikern und den Drei Tenören bezahlt hatte. Die wichtigsten Ausgaben wie Studiengebühren und Miete waren durch ein Darlehen gesichert. Darüber musste ich mir also keine Sorgen machen. Das Problem war, wie ich Straßenbahn, Bus und die Lebensmitteleinkäufe finanzieren sollte. Diese Kasse war leer.
    Andere Studenten hätten vielleicht ihre Eltern um finanzielle Unterstützung gebeten, aber diese Option hatte ich nicht. Meine Mutter war »von uns gegangen«, wie mein Vater erklärt hatte, als ich fünf Jahre alt und sie aus dem Krankenhaus nicht nach Hause gekommen war. Nicht verstorben. Nicht tot. Einfach gegangen … und nicht wiedergekommen. Und mein Vater? Nach dem Tod meiner Mutter ist auch er auf gewisse Art »gestorben«. Nicht physisch … Er war einfach nicht mehr zur Arbeit gegangen, verlor den Job, schlief die meiste Zeit des Tages, begann zu trinken. Nach drei deprimierenden Monaten entschied er, dass er nicht in der Lage war, ein Kind allein großzuziehen und gab mich zu meinen Großeltern.
    Einige Jahre später fing sich mein Vater. Auf die Idee, mich wieder zu sich zu nehmen, kam er allerdings nicht. Tatsächlich sah ich ihn kaum. Er wurde so etwas wie das Familiengespenst der Brights, tauchte unerwartet auf, um Hallo zu sagen, und verschwand dann mehrere Jahre hintereinander wieder in der Versenkung.
    Großmutter Bright folgte meiner Mutter, als ich sieben war, und Großvater und ich blieben auf uns allein gestellt.
    Großvater war von Beruf Psychologe. Seine Passion jedoch galt der Musik, und er teilte seine diesbezüglichen Kenntnisse so oft er nur konnte mit mir. Wenn er keine Patienten in seiner Praxis therapierte, und ich nichts für die Schule tun musste, widmeten wir unsere Zeit der Musik, gleichgültig, welcher Art. Manchmal hörten wir Radio, und Großvater wies mich an, die Texte niederzuschreiben, die mir am eingängigsten erschienen. Ein andermal studierten wir die Klassiker und ihre Beiträge zur Musikgeschichte. Aber am häufigsten spielten wir einfach nur Gitarre.
    Großvater hatte unmittelbar nach meinem Einzug bei ihm und Großmutter angefangen, mir Unterricht zu geben. Mit zehn beherrschte ich das Instrument schon ziemlich gut. Mit dreizehn war aus dem Schüler der Lehrer geworden. Schließlich bekam ich meine eigene Gitarre – sie war nicht so gut wie Karl –, und wir schrieben und spielten gemeinsam Songs und Stücke bis in die frühen Morgenstunden. So entstanden meine Träume. Aber erst im College kristallisierte sich eine Vorstellung von dem heraus, was ich werden wollte. Jene Nächte mit Großvater machten mir jedoch klar, dass Musik meine Zukunft sein musste.
    Meine Kindheit war nicht vollkommen, aber es hätte schlimmer kommen können. Ich überlebte, was das Wichtigste ist, allerdings nur dank
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