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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition)
Autoren: K.A. Milne
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niederschlug, die ich einnahm. Zu Beginn meines zweiten und letzten Studienjahres im September hatte ich genug Geld auf der Bank, dass ich nur noch einmal pro Woche spielen musste, ohne meine Rücklagen zu strapazieren.
    Als mein zweites Weihnachtsfest in Österreich vor der Tür stand, steckte ich in meinen Masterprüfungen, die mich bis zum Semesterende im April auf Trab hielten. Dann lagen bis zu den Abschlussfeierlichkeiten im August nur noch ein abschließender Kurs und ein Sommerpraktikum vor mir. Damit hatte meine Ausbildung sechs Jahre gedauert – vier in Rochester und zwei in Wien – und ich konnte kaum glauben, dass das Ende so nahe sein sollte. Die Zeit war schnell vergangen, und ich fragte mich, ob sich das je ändern würde.
    Dann, mitten im Juni, während der ruhigen Phase an der Hochschule, änderte sich plötzlich alles. Für ein paar Wochen schien die Zeit nahezu stillzustehen. Es war beinahe so, als habe Gottes Metronom aufgehört, den Takt zu schlagen. Was ich jedoch als Stillstand begriff, waren die Begleitsymptome einer seltsamen Krankheit, die mich befallen hatte. Das Leiden traf mich wie ein Schlag aus heiterem Himmel. Die physischen Symptome waren Bluthochdruck, Atemlosigkeit, Fieber und gelegentlicher Schüttelfrost. Herzrhythmusstörungen kamen und gingen.
    Ich wusste, das, was ich hatte, war eine seltene Erscheinung – ich war auf eine Art liebeskrank, wie man es nur einmal im Leben durchmacht.
    Ich wusste auch, dass Ursache und Heilung in ein und derselben Person begründet lagen: in Annaliese Burke .

2
    UNMITTELBAR NACHDEM SIE in den Straßenbahnwagen eingestiegen und sich auf die Bank in meinem Rücken gesetzt hatten, vermutete ich, dass eine von den beiden – die, die ihr Haar nicht zu Zöpfen geflochten trug – eine amerikanische Touristin sein musste. Ihr ausgeblichenes T-Shirt mit dem Logo der University of Southern California über Bermudashorts verrieten sie. Und nicht nur das, sondern auch die freundliche Art, wie sie »Hey there« oder »Hi« zu jedem Fremden sagte, der den Blick in ihre Richtung schweifen ließ – mich eingeschlossen, war ebenso aufschlussreich. Ihre Freundin war schwieriger einzuschätzen. Ihr Verhalten allerdings ließ vermuten, dass sie entweder Deutsche oder Österreicherin war. Beide waren Anfang zwanzig und auf den ersten Blick durchaus attraktiv.
    Ohne es zu wollen, musste ich zwangsläufig ihre Gespräche mit anhören, denn sie hatten direkt hinter mir Platz genommen. Außerdem sind amerikanische Touristen sowieso immer die lautesten in einer Menge.
    »Wohin fahren wir jetzt?«, fragte die Amerikanerin, ohne jedoch die Antwort der Freundin abzuwarten. »Donnerwetter! Sieh dir das Gebäude an! Muss mindestens dreihundert Jahre alt sein!«
    »Wenn nicht noch älter«, erwiderte ihre Freundin lakonisch. Sie sprach ein tadelloses Englisch mit kaum hörbarem Akzent. »Hier ist alles so alt. Wir sind schließlich nicht mehr in Kalifornien. Aber deshalb brauchst du nicht gleich aus dem Häuschen zu sein. Ist doch nur ein Haus.«
    Während der nächsten Haltestellen hörte ich, wie die Touristin über alles, was sie sah, Auskunft haben wollte, während die Freundin sich mühte, ihre Begeisterung zu dämpfen. Ab und zu veränderte ich meine Sitzposition, um einen schnellen, unauffälligen Blick auf das amerikanisch aussehende junge Mädchen werfen zu können.
    Mindestens zweimal ertappte sie mich dabei. Ich tat so, als bemerke ich ihr Lächeln gar nicht.
    Drei Haltestellen vor meiner Wohnung stieß die Amerikanerin plötzlich einen Schrei aus, dass ich zusammenzuckte. »Ohhhhh! Da ist es! Wir müssen aussteigen! Das will ich sehen!«
    »Also dafür steige ich nicht aus der Straßenbahn aus! Nicht wegen einer stinkenden Müllverbrennungsanlage!«
    »Das ist keine gewöhnliche Müllverbrennungsanlage! Friedensreich Hundertwasser hat sie entworfen. Die ist berühmt! Die perfekte Kombination von Kunst und Industrie, Schönheit und Effizienz.«
    Auch ohne hinzusehen, wusste ich sofort, welches Bauwerk gemeint war. Schließlich fuhr ich täglich daran vorbei und fragte mich immer wieder verwundert, weshalb sich jemand die Mühe gemacht hatte, aus einer ordinären Müllverbrennungsanlage ein Kunstobjekt zu machen. Der hohe, mit Mosaiken verkleidete Schornstein wies auf seiner gesamten Länge einige große Ausstülpungen auf. Darunter war auch eine sich nach oben leicht verjüngende, vierstöckige goldene Kugel. Die Dachsilhouette der Anlage zierte ein seltsames
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