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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition)
Autoren: K.A. Milne
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Sammelsurium an Türmchen und geschwungenen Linien, die jeweils in der Sonne glitzernde Kugeln wie Dachreiter von der Größe eines Kleinwagens trugen. Die Außenfassaden waren mit unterschiedlichen Figuren und Farben bemalt – schwarz und weiß gescheckt, rote Quadrate und gelbe amorphe Formen, um nur ein paar zu beschreiben – wobei der Künstler auf einen Teil des Daches eine Konstruktion aufgesetzt hat, die man nur als monströse, rot und blau gestreifte Schildmütze beschreiben kann.
    » Ich bin aber müde «, jammerte die Freundin leise auf Deutsch.
    »Was hast du gesagt?«
    » Nichts . Vergiss es. Wenn du wirklich aussteigen willst, dann steigen wir aus.«
    Nach einem Moment der Stille tippte mir jemand auf die Schulter. »Entschuldigung«, sagte die Amerikanerin. »Sir, sprechen Sie Englisch?«
    Ich drehte mich um und sah sie an. Diesmal musste ich es nicht heimlich und verstohlen tun. Sie hatte wunderschönes, hellbraunes Haar, einen offenen Blick und ein sympathisches Lächeln. Ich nickte.
    »Gut. Haben Sie gehört, was meine Freundin gerade auf Deutsch gesagt hat?«
    Ich nickte erneut.
    »Möchten Sie’s mir übersetzen?«
    Ich grinste verlegen und räusperte mich. »Mein Deutsch ist nicht perfekt, aber soviel ich verstanden habe, ist sie müde.« Ich warf einen flüchtigen Blick auf das junge Mädchen auf dem Nebensitz, das peinlich berührt wirkte.
    Die Augen der Amerikanerin leuchteten auf. »Sie sind aus den USA ! Na, so was!« Sie wandte sich an die Freundin und zog fragend die Augenbrauen hoch. »Müde? Wirklich. Wir sind erst einen Tag auf Reisen, und du bist schon geschafft?«
    Die Freundin lächelte entschuldigend. »Jetlag?«
    »Ach, ich weiß, dich langweilt das alles. Du bist hier aufgewachsen. Aber ich will nichts, einfach gar nichts verpassen!«
    »Aber ich kenne dich! Du bleibst da wieder eine Ewigkeit, bis du dir alles haargenau angesehen hast, und unsere Kleider übel nach Müll riechen. Warum machst du nicht einfach von der Straßenbahn aus ein Foto?«
    Die Amerikanerin warf einen Blick auf die Uhr. »Fotos von der Anlage habe ich genug. Solange ich in Wien bin, möchte ich das Original sehen. Warum fährst du nicht nach Hause und machst ein Nickerchen. Ich schau’s mir allein an. Dann bin ich rechtzeitig zurück, damit ich mich vor dem Abendessen umziehen kann.«
    Das Mädchen mit den Zöpfen musterte die Freundin nachdenklich. »Findest du denn allein den Weg nach Hause?«
    »Vermutlich nicht. Aber mir fällt sicher was ein.«
    In diesem Moment verspürte ich zum ersten Mal Herzklopfen. Es setzte wie aus heiterem Himmel ein und beruhigte sich erst wieder, als ich mich räusperte und sagte: »Hm … Ich kann Sie führen, wohin Sie möchten. Ich kenne mich hier aus. Ich studiere in Wien.« Dann zwang ich mich zu einem Lächeln und fügte hinzu: »Ich heiße übrigens Ethan.«
    Das Gesicht des Mädchens verzog sich zu einem Lächeln. Sie wandte sich wieder an ihre Freundin. »Magda, das ist mein neuer Freund Ethan«, stellte sie mich vor. »Er ist bereit, mich zu Hundertwassers Kunstwerk zu begleiten.« Sie streckte mir die Hand entgegen. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Annaliese Burke. Alle nennen mich Anna.«
    »Du willst doch nicht mit diesem … Ich meine, du kennst ihn doch gar nicht«, entrüstete sich Magda mit düsterer Miene. »Vielleicht ist er verrückt. Ein Psychopath! Nur weil er Amerikaner ist, ist er noch längst kein guter Amerikaner.«
    »Dann kommst du also mit?«
    Magda fluchte leise auf Deutsch. »Ja, ich komme mit«, murmelte sie schließlich.
    Anna wandte sich grinsend mir zu. »Sie sind auch herzlich eingeladen. Falls Sie noch interessiert sind. Wetten, dass ich Ihnen mindestens zwanzig Dinge über dieses Gebäude erzählen kann, die Sie noch nicht wussten?«
    »Was immerhin schon zwanzig Dinge mehr wären, als ich jetzt weiß. Wie könnte ich ein solches Angebot ausschlagen?«
    In den Jahren nach jenem Schicksalstag in Österreich bin ich tausendmal gefragt worden, wie ich meine Frau kennengelernt habe. Ich habe schnell erkannt, dass »Belauschen eines Gesprächs in einer Straßenbahn vor dem Kunstwerk einer Müllverbrennungsanlage« nur noch mehr Fragen aufwarf. Stattdessen habe ich mir angewöhnt, einfach zu sagen: »in Europa«, was den meisten genügte. Tat es das nicht, fügte ich hinzu, dass ich als Student in Wien als ihr persönlicher Stadtführer fungiert hatte, und der Rest sei, wie es so schön heißt, Geschichte.
    Tatsächlich hatte
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