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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition)
Autoren: K.A. Milne
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Barock waren – einfach alles. Es war erstaunlich, dass sie eine vergoldete Säule gute fünfzehn Minuten betrachten konnte, ohne eine Miene zu verziehen. Ich fragte sie, was sie daran denn sehe, und sie konterte mit einer Gegenfrage: »Was siehst – oder hörst du beim Requiem oder der Zauberflöte von Mozart?«
    »Das ist leicht. Das Genie!«
    Sie zwinkerte mir zu. »Eben.«
    Mittags teilten wir uns im Vorübergehen ein Eis an einem Eisstand auf der Straße und nahmen die U-Bahn nach Schloss Schönbrunn, der Sommerresidenz des österreichischen Kaiserhauses mit tausendvierhunderteinundvierzig Zimmern. Wundersamerweise brachten wir die Besichtigung in nicht einmal zwei Stunden hinter uns. Grund war die Tatsache, dass Besuche ohne professionelle Führung nicht erlaubt waren, und es unser Führer nicht zuließ, dass wir hinter der Gruppe zurückblieben.
    Bei Einbruch der Dunkelheit fragte Anna erneut, ob ich auch für den folgenden Tag Zeit für sie habe. Mein Studienpraktikum endete um halb elf Uhr vormittags. Wir verabredeten uns für elf Uhr zum Essen, bevor wir erneut auf Besichtigungstour gehen wollten.
    Danach verliefen unsere Tage ungefähr immer nach demselben Muster. Wir trafen uns nach Ende meiner Vorlesungen oder Übungen, erkundeten die Stadt bis zum späten Abend, verabschiedeten uns und verabredeten uns für den folgenden Morgen. Während ich mich wegen unserer ersten Verabredung krankgemeldet hatte, versäumte ich später deshalb keine einzige Veranstaltung an der Universität mehr. Allerdings träumte ich schon während der Vorlesungen von dem, was mich danach erwartete.
    An unserem vierten gemeinsamen Tag war Anna bereit, weniger Zeit bei den einzelnen Sehenswürdigkeiten zu verbringen, um das Pensum zu schaffen, das wir uns vorgenommen hatten. Auf diese Weise klapperten wir Tag für Tag systematisch einen Programmpunkt nach dem anderen ab. Es war mir gleichgültig, dass ich die Orte bereits vielfach gesehen hatte. Mit Anna war alles unendlich interessanter.
    Am Ende des neunten Tages hatten wir alle zwingend wichtigen Sehenswürdigkeiten besucht. Danach führte ich Anna zu Orten, für die die meisten Touristen keine Zeit mehr hatten. So besuchten wir zum Beispiel den Zentralfriedhof, jenen riesigen Friedhof, auf dem österreichische und deutsche Musikgiganten wie Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Strauss und Schönberg ihre Ehrengräber gefunden hatten. Oder die Schatzkammer in der Hofburg, in der die Heilige Lanze aufbewahrt wird. Sie ist das ältestes Stück der Reichskleinodien, die angeblich mit dem Blut Christi getränkt gewesen sein soll. Und schließlich das Eroicahaus, wo Beethoven gelebt und die 3. Symphonie , die Eroica , komponiert hatte.
    Magda sahen wir nur gelegentlich zum Abendessen. Ansonsten ließ sie uns ziehen, während sie Zeit mit ihrer Familie verbrachte, von der sie fast eineinhalb Jahre getrennt gewesen war. Am dreizehnten Tag jedoch – dem letzten Tag, bevor Anna und Magda zu ihrer Städtetour nach Paris, Berlin, Budapest und Venedig aufbrechen wollten – entschied Magda plötzlich, sich wieder mehr um ihre beste Freundin zu kümmern, und wich uns lästigerweise den ganzen Tag nicht von der Seite.
    Den ganzen Tag nicht !
    Ihr Timing hätte schlechter nicht sein können. Ich hatte eine Woche lang umsichtig geplant, mit Anna am letzten gemeinsamen Abend Arm in Arm an der Donau entlangzuschlendern, während sich die Lichter der Reichsbrücke in ihrem Wasser glitzernd spiegelten. Dabei wollte ich mir endlich ein Herz fassen und dem faszinierendsten Wesen auf Erden endlich einen Kuss entlocken. Stattdessen landete ich auf einem ärgerlichen, endlosen Einkaufstrip mit unserem österreichischen dritten Rad am Wagen, um Proviant für die Zugfahrt nach Berlin zu kaufen. Und bei Sonnenuntergang beharrte Magda darauf, früh nach Hause zurückzukehren, um für die lange Reise am folgenden Tag ausgeruht zu sein.
    Ach wirklich? Musste man für eine Zugfahrt in einem bequemen Abteil ausgeruht sein?
    Als wir uns vor Magdas Wohnhaus kurz nach einem Essen beim Schnitzelwirt in der Neubaugasse Nummer zweiundfünfzig, der für seine riesigen Schnitzelportionen berühmt ist, verabschiedeten, schüttelte Magda mir kräftig die Hand. »Auf Wiedersehen, Ethan. Alles Gute.«
    Ich spürte, dass Anna zögerte, sich so sang- und klanglos von mir zu verabschieden. Aber angesichts von Magdas strafendem Blick umarmte sie mich nur hastig. »Danke für alles!«
    In der Eile fiel mir keine passende
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