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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition)
Autoren: Adam Thirlwell
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Allgemeine Beschreibung des Buches im gegenwärtigen Zustand
    Lange verfolgte ich dieses Projekt, während meiner jugendlichen, ernsthaften Phase. Ich wollte beweisen, dass Romane in jede Sprache übertragen werden können. Im rasanten Zeitalter des Flugzeugs hatte ich den Traum, beweisen zu können, warum es sich bei Romanen um Multiples handelt. Denn obwohl dem durchschnittlichen Bürger der Flugzeug-Ära eine solche sprachliche Entortung vielleicht ganz normal vorkommt, war die Tatsache, dass ein Roman in verschiedenen Sprachen existieren kann, für mich ein Problem. Sie schien mir befremdlich. Dieses Problem zu lösen, hielt ich, in meiner romantischen Jugend, für wichtig: Es erschien irgendwie wesentlich für die zukünftige Produktion von Romanen.
    Ich meine, es ist ja wohl auch nicht komplett exzentrisch und verrückt anzunehmen, dass ein Leser, der sich für einen Kenner der Romankunst hält,
Krieg und Frieden
gelesen haben wird und
Ulysses
und
Madame Bovary
und vielleicht zumindest einige der
Ficciones
von Jorge Luis Borges. Wogegen es um einiges unwahrscheinlicher ist, dass unser idealer Leser all dieser Werke, wie man sagt,
im Original
gelesen hat. Die Geschichte des Romans ist eine Weltgeschichte. Niemand behauptet, ein Romanexperte zu sein, wenn er nur Romane liest, die in seiner Muttersprache geschrieben wurden, sei sie Portugiesisch oder Tagalog. Und so steht der Leser, der sich das Ziel gesetzt hat, die komplizierte Romankunst zu erkunden, zuletzt zwangsläufig vor einer ganzen Lagerhalle voll mit eingeführten Gütern.
    Aber vielleicht kommen euch diese Äußerungen – die ziemlich explosiv sind, wenn man sich erst einmal näher mit ihnen beschäftigt – bisher nicht ungewöhnlicher vor, als andere ganz alltägliche Wahrheiten. Also noch mal anders. Die Literatur ist eine jener seltsamen Kunstformen, deren Originale oft als Multiples wahrgenommen werden. Und, klar, das ist nicht weiter außergewöhnlich, wenn man unter einem Multiple nur eine nützliche mechanische Reproduktionsweise versteht, wie zum Beispiel die der Postkarten. Aber das Problem dieser Denkweise besteht darin, dass das Verhältnis zwischen einer Postkarte und einem Gemälde wirklich nicht das gleiche ist, wie das zwischen Übersetzung und
Original
. Die perfekteste Übersetzung hat auf der einen Seite genau die gleiche
Größe
wie das Original, das es imitiert, ist aber gleichzeitig eine völlig andere Sache – so, als imitierte man die exakten Maße von Michelangelos
David
und stellte ihn dann aus Wackelpudding her.
    Dass das Übersetzen mit anderen Worten ein zentrales Element der Literatur ist, führt zu einer verrückten Situation, verrückter als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Trotzdem dachte ich zuerst, mein Projekt würde auf etwas Einfacheres hinauslaufen – so etwas, wie die Versöhnung oder Abwägung zweier widersprüchlicher Annahmen im harmonischen Zusammenhang einer vollständigen Gleichung. Und diese Annahmen waren a), dass es sich bei einem Roman um eine einzigartige Abfolge linguistischer Zeichen in einer gegebenen Sprache handelt, und b), dass sich dieses einzigartige Unikat auch in jeder anderen Sprache reproduzieren lässt. So dass sich natürlich gewisse Änderungen ergäben, wenn man zum Beispiel Sätze aus dem Inuit ins Englische übertragen würde oder vom Englischen ins Japanische, aber diese Umwandlung wäre völlig unabhängig von der grundlegenden Frage der Qualität: Eine solche Umwandlung würde den Wert eines Romans als Teil einer gewissen Kunstform nicht vermindern.
    Und an dieser Stelle dachte ich, ich sei bereits fertig: ein Hallelujah auf das Multiple und auf den Amateurtheoretiker.(Ein Buch, das verschiedentlich bekannt ist als
Miss Herbert, The Delighted States, Mademoiselle O
. Andere EXKURSE FÜR BESONDERE LESER finden sich in den Anmerkungen.)
    Aber als sich die Ernsthaftigkeit meiner Jugend langsam zu lichten begann, kamen mir Zweifel, ob diese Theorie für zukünftige Produktionen wirklich schon die nützliche Maschine war, die mir vorschwebte. Vielleicht, dachte ich, war es überhaupt keine funktionierende Maschine. Denn bisher hatte mein Projekt immer den Satz als Maß für den spezifischen Romanstil vorausgesetzt. Aber ein Roman ist schließlich viel länger als ein Satz. Es ist traurig, wie offensichtlich das ist. Und ich begann mich zu fragen, ob ein Roman deshalb nicht auch sehr viel seltsamer sein musste, als ich zuerst gedacht hatte. Ein Roman ist eine gigantische,
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