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Liebesnöter

Liebesnöter

Titel: Liebesnöter
Autoren: Gaby Hauptmann
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der Tür stehen, dann schloss sie sie hinter sich. Hier drin war es merklich kühler, und es roch nach verkohltem Holz. Sie kniff kurz die Augen zusammen, um sie an die Dunkelheit zu gewöhnen. Im hinteren Teil des Raumes erkannte sie einen offenen Kamin. Die Asche glühte noch.
    Ihr erster Impuls war, sofort umzukehren. Ihr zweiter, der Sache nachzugehen. Sollte sie rufen? Eigentlich war sie ja hier die Einbrecherin. Irgendwie glaubte sie nicht daran, dass tatsächlich jemand da war. Was bedeutete schon eine Glut? Gutes Holz glühte lang.
    Sie ging langsam bis zum Kamin vor. Und dann sah sie ihn. Er saß in einem Ohrensessel und bewegte sich nicht. Ellas Adrenalinspiegel schoss nach oben, der Schweiß brach ihr aus. Er saß ihr genau gegenüber. Sie hatte ihn nicht gleich entdeckt, weil seine Konturen mit denen des Sessels verschwammen.
    Er bewegte sich noch immer nicht. Groß und breitschultrig saß er regungslos da. Lebte er? War er tot?
    Wo war ein Lichtschalter? Gab es in so einer Hütte überhaupt elektrisches Licht? Ella fingerte nach ihrem Smartphone. Was, wenn er seit Wochen tot war? Wollte sie so ein verwestes Gesicht überhaupt sehen?
    »So würde Inka also aussehen, wenn sie noch leben würde.«
    Ella zuckte zusammen. Seine Stimme war tief, völlig anders, als sie sie in Erinnerung hatte. Sie ging rückwärts zur Tür.
    »Bleib da! Du hast mich gesucht, jetzt hast du mich gefunden. Also, bleib da!«
    »Woher weißt du das?« Ellas Stimme klang heiser, sie musste sich räuspern.
    »Es hat sich in bestimmten Kreisen herumgesprochen. Moritz, dein verschollener Schulkamerad!«
    »Ja, Moritz!« Ella war stehen geblieben. Der alte Zorn regte sich wieder in ihr. »Weißt du überhaupt, was du uns angetan hast? Uns allen? Nicht nur Inka, nein, nicht nur Inka! Unseren Eltern, mir, deinen Eltern …« Sie war laut geworden und unterbrach sich selbst. »Deine Eltern?« Sie horchte ihren eigenen Worten nach. »Deine Eltern?« Der Gedanke war ihr überhaupt noch nicht gekommen. »Du als Au-pair-Junge in Schweden – war das gezielt … haben deine Eltern … etwa?«
    Moritz stand auf. Er war größer, als Ella ihn in Erinnerung hatte, und er war breiter geworden. Breiter, als er auf den Fotos wirkte. Er griff nach dem Schürhaken und sah Ella an. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht lesen, das Licht war zu schummrig.
    »Was soll das?«, fragte sie etwas zu schrill. Sie hörte ihre Stimme wie ein Echo in ihrem Kopf.
    Er griff nach einem Holzscheit, warf es in den Kamin und stocherte die Glut auf. Dann setzte er sich auf die Armlehne des Sessels.
    »Ich war zugedröhnt. Ein Scheißzeug, das vorher die Runde gemacht hatte. Wir wollten uns lieben, ich wollte Sex, sie auch, dachte ich zumindest. Sie sagte, lass uns ein Spiel machen, in der Luftblase des Bootes. Wir kippten das Boot um, und da war sie weg. Ich habe sie nicht mehr gefunden, und ich habe ewig gebraucht, bis ich selbst am Ufer war. Mir war hundeelend, ich hatte den totalen Filmriss. Irgendjemand hat mich zu meinen Eltern gefahren, und als es auf Totschlag hinauslief, hat mich mein Vater nach Schweden verfrachtet.«
    Ella hätte gern sein Gesicht gesehen.
    »Wie konntest du mit einer solchen Schuld leben?«
    Seine Schultern waren nach vorn gesunken.
    »Gar nicht, das war ja das Problem. Aber mein Vater regelte alles und sagte mir, ich würde die Familie ruinieren, und meine Mutter könne sich mit einem Mörder als Sohn nirgends mehr blicken lassen und würde sich zu Tode schämen.«
    »Deinem Vater ging es doch nur um seine Karriere!«
    Moritz blickte auf. »Das habe ich später auch begriffen. Aber da war es zu spät. Da waren es schon zu viele Lügen, und ich war in meinem neuen Leben drin.«
    »Aber du lügst doch noch immer!«
    Er schwieg, Ella setzte sich nun ebenfalls auf die ledergepolsterte Armlehne des zweiten Kaminsessels und sah Moritz an.
    »Ich wollte von allem fort. Und ich habe darüber nachgedacht, mich der deutschen Justiz zu stellen.«
    »Ha.« Ella lachte trocken. »Es ist sowieso alles verjährt.«
    »Darum geht es nicht, es geht um meine Sühne. Um mein inneres Gleichgewicht. Um meine Schuld. Ich komme damit nicht mehr klar. Je älter ich werde, desto schlimmer wird es.«
    Ella nickte. »Deshalb die düsteren Bilder.«
    »Du warst bei Inger.«
    »Ja, ich war auch bei Inger.«
    »Auch Inger habe ich nun einen großen Schmerz zugefügt. Das wollte ich nicht. Aber Steffi hatte meine Liebe zu ihr entdeckt, und sie hat mir gedroht, meine
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