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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
Autoren: Hermann Kurzke
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Buddenbrooks
13
Musik
    Die Musik ist eine liederliche Angelegenheit, findet Tonio Kröger, und verweist auf die Art, wie seine Mutter sich nach dem Tod des Vaters verhielt. «Tonios Mutter jedoch, seine schöne, feurige Mutter, die so wunderbar den Flügel und die Mandoline spielte und der alles ganz einerlei war, vermählte sich nach Jahresfrist aufs Neue und zwar mit einem Musiker, einem Virtuosen mit italienischem Namen, dem sie in blaue Fernen folgte.»[ 1 ] Musik ist romantisch. Musik ist erotisch. Musik ist rauschhaft und lustvoll, ja sie kann geradezu eine sublimierte Wollustentladung, einen autoerotischen Orgasmus herbeiführen, wie beim Klavierspiel des jungen Hanno Buddenbrook:
    Was würde sie sein, diese Auflösung, dieses entzückende und befreite Hineinsinken in H-dur? Ein Glück ohne gleichen, eine Genugthuung von überschwänglicher Süßigkeit. Der Friede! Die Seligkeit! Das Himmelreich! … Noch nicht … noch nicht! Noch einen Augenblick des Aufschubs, der Verzögerung, der Spannung, die unerträglichwerden mußte, damit die Befriedigung desto köstlicher sei … Noch ein letztes, allerletztes Auskosten dieser drängenden und treibenden Sehnsucht, dieser Begierde des ganzen Wesens, dieser äußersten und krampfhaften Anspannung des Willens, der sich dennoch die Erfüllung und Erlösung noch verweigerte, weil er wußte: Das Glück ist nur ein Augenblick … Hannos Oberkörper reckte sich langsam empor, seine Augen wurden ganz groß, seine geschlossenen Lippen zitterten, mit einem stoßweisen Beben zog er die Luft durch die Nase ein … und dann war die Wonne nicht mehr zurückzuhalten. Sie kam, kam über ihn, und er wehrte ihr nicht länger. Seine Muskeln spannten sich ab, ermattet und überwältigt sank sein Kopf auf die Schulter nieder, seine Augen schlossen sich, und ein wehmütiges, fast schmerzliches Lächeln un aus sprechlicher Beseligung umspielte seinen Mund, während, mit Verschiebung und Pedal, umflüstert, umwoben, umrauscht und umwogt von den Läufen der Violine, sein Tremolo, dem er nun Baßläufe gesellte, nach H-dur hinüberglitt, sich ganz rasch zum fortissimo steigerte und dann mit einem kurzen, nachhalllosen Aufbrausen abbrach.[ 2 ]
    «O horch, Musik! An meinem Ohr weht wonnevoll ein Schauer hin von Klang.» Das Tagebuch vom 6. Mai 1934 zitiert ein Gedichtfragment, das bis ins Alter durch das Werk geistert. Es blickt auf Paul Ehren berg und die Tonio-Kröger-Zeit zurück, spricht von Rausch und Liebe und Überwältigtsein und verrät, daß es autobiographisch einen Zusammenhang von Homoerotik und Musik gibt. Die wortlose Welt der Töne dient als Ausdrucksmedium für ein sonst tabuisiertes Begehren.
    Da die Musik zu den mütterlich-regressiven Mächten gehört, kann der Fortschritt sich nicht auf sie berufen. Der Aufklärer Settembrini im
Zauberberg
erklärt sogar: «Ich hege eine politische Abneigung gegen die Musik.»[ 3 ] Die Gegenmacht zur Politik ist die Religion. Musik ist der eigentliche Gottesdienst.[ 4 ] Alles Religiöse ist Gedenken des Todes.[ 5 ] Musik ist infolgedessen dem Tode verhaftet. Sie hat Sympathie mit dem Tode.[ 6 ] Sie kann auch töten, kann geradezu als Mordwaffe dienen, wie in der Erzählung
Tristan
, als es dem Dichter Detlev Spinell gelingt, die lungenkranke Gabriele Klöterjahn zum Klavierspiel zu verführen – ein tödlicher Blutsturz ist die Folge.[ 7 ] Auch als es mit der Familie Buddenbrook bergab geht, hat die Musik einen großen Anteil daran. Das wollüstige Klavierspiel lenkt den jungen Buddenbrook von den bürgerlichen Pflichten ab. Das Geigenspiel seiner Mutter mit Leutnant von Throta beginnt ihre Ehe zu zerstören. Da der Leutnant sehr oft mit ihr Musik macht, und überdies Augen hat, die «schwärmerisch, ernst und schimmernd auf Dingen und Gesichtern ruhten», ist man sich im bürgerlichen Lübeck bald einig, daß seine Beziehungen zu Frau Buddenbrook die Grenzen des Sittsamen überschritten.[ 8 ]
    Thomas Mann war Wagnerianer von Jugend auf. Die tödliche, rauschhafte, antibürgerliche, politisch gefährliche Musik, die er meint, ist so gut wie stets Musik Richard Wagners, deren Zentrum wiederum ist das Musikdrama
Tristan und Isolde
, dessen innerste Mitte schließlich ist der Liebestod. Die Erzählung
Tristan
faßt die erotische Todesmetaphysik dieses musikalischen Augenblicks folgendermaßen zusammen:
    Und ein geheimnisvoller Zwiegesang vereinigte sie in der namenlosen Hoffnung des Liebestodes, des endlos ungetrennten Umfangenseins im
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