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Liebe und Marillenknödel

Liebe und Marillenknödel

Titel: Liebe und Marillenknödel
Autoren: Emma Sternberg
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und keinen Sex. Was anzuziehen hat man ohnehin nie, und meine Großtante habe ich auch verloren.
    In meinem Hals wächst ein riesiger Kloß heran, und ich spüre, wie eine Träne langsam über meine Wange läuft. Ich wische sie mir aus dem Gesicht, kippe mir zwei Fingerbreit Trost-Rum in den Kaffee, schnappe mir meinen Ratgeber und schlurfe in Richtung Schlafzimmer – wo sich plötzlich das Bett bewegt.
    Hä?
    Autsch! Mir muss vor Schreck das Buch aus der Hand gefallen sein, denn es ist mit der Ecke voran auf meinem nackten Fuß gelandet, Mist. In einem zweiten Schreck habe ich den Kaffee verschüttet, natürlich nicht übers Parkett, sondern über meinen weißen Bademantel aus Kuschelfrottee. Als sei das alles nicht schon schlimm genug, ich meine alles, die Sache mit dem Job, mit Jan, mit Johanna, mit dem Buch, mit dem verschütteten Kaffee – finde ich jetzt auch noch einen Typen in meinem Bett, von dem ich keine Ahnung habe, wie er dort hingekommen ist. Ich kenne keine Männer, die einen solch breiten Rücken haben. Ich kenne auch keine Männer, die um diese Jahreszeit einen appetitlich gebräunten Rücken haben. Ich kenne eigentlich nur Männer, die Pickel …
    Oh Gott, er dreht sich um.
    Oh Gott, und wie ich den kenne.
    Ohgottohgottohgott.
    Über den Laken erscheint, umrahmt von einer dunklen Strubbelmähne, ein strahlendes Lächeln.
    » Gibt’s schon Kaffee?«, sagt der Typ.
    Er ist einer von Sarahs Gastro-Freunden von letzter Nacht. Johannes, der mit der Nase.

3
    Es gab wirklich schon viele Momente in meinem Leben, in denen ich mir gewünscht habe, kein Mitglied meiner Familie zu sein, aber so schlimm wie heute war es noch nie. Tante Johanna und Onkel Schorschi hatten keine Kinder, und weil ihre Schwester, Oma Grethe, vor ungefähr zehn Jahren an Hartherzigkeit gestorben ist (na gut, es war ein Myokardinfarkt, aber ich wette, dass man sich den auch durch emotionale Kälte zuziehen kann), sind Tante Marianne und meine Mutter ihre nächsten lebenden Verwandten. Und, ganz ehrlich, ich muss sagen: Sie spielen diese Rolle vorzüglich.
    Besonders unfassbar benimmt sich Tante Marianne, die neben der Queen und allenfalls noch Victoria Beckham vermutlich die einzige Frau auf Erden ist, die heute noch mit schwarz verschleiertem Hut auf Beerdigungen geht. Der Unterschied ist freilich, dass sogar Victoria Beckham wüsste, dass es einen Tick too much ist, zum schwarzen Schleier auch noch eine riesige Sonnenbrille zu tragen – vor allem dann, wenn man in einer Aussegnungshalle steht, die bis auf den von einem Deckenstrahler beleuchteten Sarg total schummrig ist. Sie sieht aus wie ein erschrockenes Insekt, das mit dem Kopf in ein Spinnennetz geraten ist. Immer wieder schluchzt sie leise auf, wirft den Kopf in den Nacken und blinzelt durch die Sonnenbrille zur Decke, als würde sie Gott um eine Antwort anflehen, dabei fragt sie sich vermutlich bloß, wie sie es am besten hinkriegt, so zu weinen, dass ihr Make-up nicht verschmiert.
    Auch meine Mutter läuft herum wie eine russische Immobilienspekulantenwitwe von der Upper West Side. Anders als normale Blankeneserinnen, die gerne zeigen, dass sie es nicht nötig haben, ihren Reichtum zu zeigen, hat sie die Neigung, ausschließlich Seide, Kaschmir und Tweed von den Äußeren Hebriden zu tragen, dazu antike Perlenketten, die so lang sind, dass man daran eine Ladung Buntwäsche aufhängen könnte. Auch heute liefert sie wieder einen gelungenen Auftritt. Obwohl draußen die Sonne scheint und man die Temperaturen durchaus als frühlingshaft bezeichnen könnte, trägt sie ihren schwarzen Nerzmantel, dazu ein Kopftuch aus schwarzer Seide.
    Sehr zum Leidwesen meines Vaters, der ihre Luxusspielchen meiner Ansicht nach nur mitspielt, weil er die Unannehmlichkeiten einer Scheidung fürchtet, hat sie wahnsinnige Angst davor, für einen ganz gewöhnlichen Menschen gehalten zu werden und zum Beispiel im Restaurant den Katzentisch neben den Klos zu kriegen. Diese Angst führt dazu, dass es jedes Mal, wenn meine Mutter mit dem Dienstleistungssektor zusammentrifft, zu Auseinandersetzungen kommt, die meinem Vater so peinlich sind, dass er mit rotem Kopf in seinen Krawattenknoten nuschelt: » Ist schon gut, Gisela, der Kellner kann doch nichts dafür.« Was meine Mutter bislang noch nie sonderlich beeindruckt hat.
    Auch das sollte ich noch über meine Familie sagen: Bei den von Hardenbergs herrscht das totale Matriarchat. Männer haben bei uns schon seit Generationen nichts mehr zu melden,
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