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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love
Autoren: Lia Habel
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Ich war lebendig begraben.
    Das wurde mir in dem Moment klar, als der Fahrstuhl irgendwo in dem steinernen Schacht ächzend zum Stehen kam. Ich war gefangen, über tausend Meter unter der Erdoberfläche und gute hundertfünfzig Meter über dem Grund des Schachtes, in einem drei mal drei Meter messenden Käfig über den Tiefen der Mine, in der ich Arbeit gefunden hatte. Ich war damals so verdammt erleichtert gewesen.
    Ich zog mich auf die Füße, schob meinen besten Freund Jack zur Seite und schlug auf den Knopf, der den Fahrstuhl regelte. Wieder und wieder hämmerte ich mit der Faust darauf. Nichts. Die verglaste Laterne, die von der Decke baumelte, flackerte auf, während das Kerosin darin zur Neige ging, als wollte die ersterbende Flamme dadurch den Tod fernhalten.
    Todesangst verdichtete sich auch in mir zu einem greifbaren, brennenden Etwas, das mein Fleisch nach seinem Willen formte, mein Herz schneller schlagen ließ und meine Haut mit glitschigem Schweiß überzog. Plötzlich musste ich mich übergeben. Mein Körper krampfte sich zusammen und ich erbrach mich durch den Gitterboden. Jack saß still neben mir. Die blutigen Augenhöhlen und das Loch in seiner Kehle schienen mich zu verhöhnen, mich und meinen lächerlichen Versuch, ihn zu retten. Sein Gesicht war zum schrecklichen Zerrbild eines Clowns geworden.
    Der Damm brach und ich begann zu schreien. Ich schrie Jack an. Dann Gott. Dann alles und jeden. Ich konnte nichts anderes mehr tun, nur das Schreien war mir geblieben. Ich hatte nicht geschrien, als die Monster sich auf uns gestürzt hatten. Ich hatte nicht geschrien, als ich vor ihnen fliehen und gegen sie kämpfen musste, und auch nicht, als ich Jack zum Fahrstuhl geschleift hatte, während das Blut aus dem Loch in seinem Hals sprudelte. Es war alles so schnell gegangen. Keine Zeit für Schreie.
    Die Monster. Wahnsinnig, animalisch, blutleer, gebrochen und zerschlagen von wilden Angriffen auf ihre Beute. Sie hatten sich uns entgegengeworfen wie Ertrinkende, die sich gegen das Eis warfen, das sie unter Wasser gefangen hielt, verzweifelt in ihrer Gier nach Luft … nur Zähne und Hunger …
    Ich ließ mich an der Wand des Fahrstuhles hinabgleiten und barg das Gesicht in den Händen. Vom Kupfergeruch des Blutes wurde mir wieder schlecht. Ich legte den Kopf in den Nacken, doch es half nicht. Der Fahrstuhl war voller Blut, Jacks Blut. Auch ich war damit überzogen. Meine zerschlissene Weste hatte mehr Blut aufgesogen, als noch in seinen Venen ruhte. Still wie ein abgestandener Teich. Es verkrustete meine billige alte Taschenuhr und gerann auf der Digitalkamera, die Jacks Hand noch immer fest umschlossen hielt. Nutzloser, neuviktorianischer Schrott. Ich hatte mich über seine Vorliebe für dieses Zeug immer lustig gemacht. Ohne einen Computer konnte er sich die Fotos schließlich nicht einmal anschauen – und hier draußen besaß niemand einen Computer. Wenn der Sheriff jemals Wind davon bekommen hätte, dass sich in Jacks Haus Schmuggelware befand, hätte er alles verloren, wozu also der ganze Aufwand?
    Aber er war so stolz auf die Schnappschüsse gewesen, die er damit eingefangen hatte. Und ich hatte pflichtbewusst in die Kamera gelächelt, wann immer er es verlangte.
    Langsam und zitternd löste ich sie aus seiner steifen Umklammerung.
    Das Licht der Laterne wurde schwächer. Ich kämpfte die Panik nieder und versuchte herauszufinden, wie man die Kamera einschaltete. Dabei klammerte ich mich an die nutzlose Hoffnung, dass all die Verschwörungstheorien vielleicht doch wahr waren. Dass die Neuviktorianer jedes ihrer technischen Geräte orten konnten, jeden digitalen Buchstaben, praktisch jeden Gedanken. Pflanzten sie ihren Leuten nicht Chips unter die Haut, um sie wie Vieh zu markieren? Es konnte vielleicht klappen, wenn der Schmuggler, der die Kamera über die Grenze gebracht hatte, nicht auch dafür gesorgt hatte, dass man sie nicht mehr orten konnte. Vielleicht.
    Wenigstens konnte ich eine Nachricht darauf hinterlassen. Wenigstens das.
    Als ich endlich herausgefunden hatte, wie man einen Film aufnahm, erstarb die Laterne und stürzte mich in vollkommene, fast greifbare Dunkelheit. Ich unterdrückte ein Schluchzen und sprach mit rauer Kehle. Meine Stimme klang wie die eines Geistes in der Gruft.
    »Falls dieses Ding hier funktioniert … mein Name ist Bram Griswold. Ich bin sechzehn Jahre alt. Heute ist der … vierte Juli 2193. Ich wohne auf der Griswold Farm, Long Road, Westgould, Plata Ombre, im
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