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Liebe und Marillenknödel

Liebe und Marillenknödel

Titel: Liebe und Marillenknödel
Autoren: Emma Sternberg
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zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, dass mein Großvater meiner Großmutter je widersprochen hätte. Und dass meine Mutter und Marianne ihre Männer dazu gezwungen haben, bei der Hochzeit den Namen von Hardenberg anzunehmen, spricht ja wohl auch Bände. Die Art und Weise, wie meine Eltern vorhin die Aussegnungshalle betreten haben, ist ganz typisch: Meine Mutter hatte sich zwar bei meinem Vater eingehakt, trotzdem sah man ganz genau, dass er nicht sie leitete, sondern sie ihn quasi an der Leine führte.
    Jetzt kommen auch noch meine verhassten Cousinen herein, Helena und Lydia, die Töchter von Tante Marianne. Ihre Männer, die inzwischen übrigens ebenfalls von Hardenberg heißen, folgen mit zwei Schritten Abstand – Sicherheitsabstand, wenn man mich fragt. Ich glaube, die beiden Schnepfen haben ihre ganze Ehe lang noch keinen Gedanken daran verschwendet, was mit ihren Jacken passiert, nachdem sie sie von den Schultern haben gleiten lassen – es stand immer ein treuer Gatte parat, der das gute Stück pfleglich auf einen Bügel hängte.
    Helena und Lydia sind eineiige Zwillinge, und schlimmer noch, sie sind wie eineiige Zwillinge aus einem dieser Horrorfilme, an denen man manchmal hängen bleibt, wenn man spätnachts nicht schlafen kann – womit sich dann die Sache mit dem Einschlafen endgültig erledigt. Die beiden sind drei Jahre älter als ich, und schon als Kind dominierten unser Verhältnis, na ja, nicht ausschließlich harmonische Töne. Ich weiß noch genau, wie sie vor den Erwachsenen mit ihren hübschen bunten Oilily-Kleidchen und braven Zöpfen Blümchen pflückten und Babypuppen pflegten, kurz: ohne Gnade auf niedlich machten, nur um mir, kaum, dass wir wieder aus dem Blickfeld der Großen waren, die allerfiesesten Streiche zu spielen. Juckpulver, Furzkissen, Frisierpuppen mit Haaren, die dann, oh weh!, komischerweise doch nicht nachwuchsen – ich habe alles erlebt, ehrlich, und vor allem die Sache mit der Frisierpuppe ist mir mehr als nahegegangen. Ich hatte ausprobieren wollen, wie ihr ein Bubikopf steht, und stellte fest: gar nicht …
    Heute sind Helena und Lydia Rechtsanwältinnen in irgendeiner internationalen Topkanzlei, obwohl sie mit ihren Jil-Sander-Kostümen, Büropumps, Seidentüchern und perfekt gescheitelten Pagenfrisuren eher wie Lufthansa-Stewardessen aussehen. Davon abgesehen, dass sie dich eher mit Spiritus übergießen würden als dir einfach mal so etwas zu trinken zu bringen. Wirklich, ich habe Mitleid mit jedem, der vor Gericht mit einer der beiden zu tun hat, zumindest als Gegner. Ich meine, man muss sich das mal vorstellen, die beiden haben im Auftrag ihrer Mutter sogar gegen den eigenen Vater eine Unterhaltsklage geführt!
    Selbst jetzt, da Helena und Lydia vor Johannas Sarg treten, um einen Kranz mit den zärtlichen Worten Der Herr hat genommen – Deine Lydia und Helena abzulegen, schauen sie noch drein, als befänden sie sich in einem Strafprozess und würden dem Richter gleich triumphierend den entscheidenden Beweis vorlegen.
    Na ja, vielleicht sollte ich lieber still sein. Immerhin haben sie einen Kranz mitgebracht. Ganz im Gegensatz zu mir. Das geht mir immer so: Vor einer Beerdigung finde ich allein den Gedanken an Grabblumen schleimig, falsch und abgeschmackt, aber wenn ich dann mit leeren Händen vor dem Sarg stehe, schäme ich mich furchtbar.
    Jetzt erklingt Orgelmusik, und alle setzen sich. Der Pfarrer, der neben den Sarg tritt, ist ein jungenhafter blonder Typ, dessen Haare so struppig in alle Himmelsrichtungen abstehen, dass es wirkt, als hätte der liebe Gott tatsächlich mal von oben ins Geschehen eingegriffen und ihm höchstpersönlich durchs Haar gewuschelt. Ich kann es mir nicht verkneifen, ihn ein ganz klein bisschen niedlich zu finden, obwohl Frauen, die Männer niedlich finden, eigentlich doch ganz schön dämlich sind. Ich meine, Hand aufs Herz: Was nervt mehr als Til Schweiger auf der Leinwand? Frauen, die am Cine-Lady-Tag im Kino hocken, Prosecco aus Plastikgläsern verschütten und kreischen: » Til Schweiger! Süüüüß!«
    Der Pfarrer wartet, bis die Orgelmusik verklungen ist, dann verschränkt er die Hände vor dem Schoß, seufzt und fängt an zu reden.
    » Liebe Familie von Hardenberg, liebe Angehörige und Freunde, liebe Trauergemeinde.«
    Oh weh. Der niedliche Pfarrer hat eine Kastratenstimme wie Philip Seymour Hoffman in dem Film über das Leben des schwulen Schriftstellers Truman Capote – und ist mit einem Schlag nicht mehr ganz so
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