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Liebe und Marillenknödel

Liebe und Marillenknödel

Titel: Liebe und Marillenknödel
Autoren: Emma Sternberg
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doch die Wahrheit zu sagen.
    » Oh, wirklich?«, sage ich. » Das tut mir leid, tja, das muss ich irgendwie …« Ich muss nicht lange stammeln, denn natürlich lässt sie mich nicht ausreden. Macht sie nie!
    » Dein Handy hast du ja wieder mal ausgeschaltet, also hab ich es im Büro probiert, aber da sagte mir deine Sekretärin, du seiest momentan freigestellt, was auch immer sie mir damit mitteilen wollte.«
    Ich muss schlucken. Freigestellt nennen sie das also. Sie haben mich gezwungen, meinen Resturlaub sofort zu nehmen! Und welche blöde Kuh ist bitte einfach an mein Telefon gegangen? Mir schießen die Tränen in die Augen, und ich kann gar nichts sagen, was meine Mutter zum Glück natürlich nicht bemerkt. Sie bemerkt ja nicht mal, dass ich in meinem ganzen Leben nie auch nur einen Tag lang eine Sekretärin hatte. Aber so sind wahrscheinlich alle Mütter: Im Notfall bilden sie sich den Erfolg ihrer Kinder einfach ein. So wird aus einem hübschen Liedvortrag bei der Familienfeier schnell eine bescheidene Weltkarriere als klassische Sopransängerin.
    » Na ja«, plappert sie weiter, » auf alle Fälle habe ich mich ja längst damit abgefunden, dass du schwer zu erreichen bist, aber diesmal, also ich muss schon sagen …«
    » Vielleicht war ich gerade in der Badewanne«, schlage ich mit matter Stimme vor. Meine Lieblingsausrede, denn jeder in meinem Bekanntenkreis kennt meine Leidenschaft für ausgedehnte Wannenbäder. Ich würde niemals in eine Wohnung ziehen, in der es bloß eine Dusche gibt, und fühle mich erst dann irgendwo zu Hause, wenn ich in der Lage bin, den Wasserhahn ohne hinzusehen mit den Füßen zu bedienen.
    » In der Badewanne? Ich dachte, du arbeitest zu Hause!«
    Mann, wahrscheinlich muss ich ihr auch noch Rechenschaft über meinen Alltag ablegen, wenn ich in Rente bin. Ach, was soll’s. Ich sollte lieber froh sein, dass sie denkt, » freigestellt« bedeute so viel wie » Heimarbeitstag«.
    » Tu ich ja auch«, sage ich, ziehe den Arbeitslosigkeitsratgeber auf den Schoß, raschle mit den Seiten und schicke einen stillen Wunsch ins Universum: dass dieser Tag und vor allem dieses Telefonat schnell zu Ende gehe.
    » Na ja, ist ja auch egal«, sagt sie und atmet durch. » Warum ich eigentlich anrufe: Tante Johanna ist tot.«

2
    » Oh«, sage ich erst, und dann: » Oh weh.« Dann schweige ich, und meine Mutter schweigt auch. Kurz darauf bemerke ich, dass sich die Traurigkeit um mich legt wie eine schwere Decke.
    Eigentlich ist Tante Johanna gar nicht meine Tante, sondern eine Schwester meiner Großmutter, und ich habe sie nicht sehr oft gesehen, in meinem ganzen Leben vielleicht zehn- oder zwölfmal. Als Kind habe ich hin und wieder die Ferien bei ihr verbracht, aber längst nicht so oft, wie ich es gern getan hätte. Meine Familie wollte nicht mehr viel mit ihr zu tun haben, seit sie vor vielen Jahren einen Weinbauern aus dem Südtiroler Gadertal kennengelernt und geheiratet hat. Sie hat dann eine Pension in den Bergen eröffnet, die so einfach ist, dass die Zimmer weder eigene Bäder noch eine Heizung haben. Das mit der Heizung ist eigentlich egal, weil Alrein ohnehin nur in den Sommermonaten geöffnet ist. Trotzdem reagierten die Hardenbergs so heftig auf ihren Entschluss, wie nur Menschen reagieren können, die sich unter dem Wort » Sommerfrische« eine kalte Dusche vorstellen, und denken, Menschen mit Aussteigerfantasien seien nicht reif für die Insel, sondern für die Klapse.
    Ich hatte Tante Johanna schon als Kind sehr gern, weil sie es, anders als meine Eltern, ganz und gar nicht unmöglich fand, Wurstbrote nicht mit Messer und Gabel zu essen. Später dann war sie die Einzige in meiner Familie, die mich unterstützte, als ich mich weigerte, meinen Eltern zuliebe eine kaufmännische Lehre zu machen. In dieser Zeit schrieb sie mir regelmäßig Briefe, in denen sie von ihrem Leben in Alrein erzählte, von den Gästen und deren Marotten, von den Angestellten und davon, was es zu essen gab. Ich beantwortete diese Briefe, nun ja, eher unregelmäßig, aber zu ihren Geburtstagen rief ich sie an, und dann verbrachten wir Ewigkeiten damit, über meine überehrgeizigen Cousinen, meine Mutter und meine jeweils aktuellen Männer zu schimpfen. Man könnte sagen, dass Tante Johanna und ich die beiden schwarzen Schafe des Hardenberg-Clans waren, obwohl ihr Nachname inzwischen Pichler war.
    » Na ja, wir sind natürlich alle furchtbar traurig, nicht wahr?«, sagt meine Mutter. » Aber, ach je, sie war
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