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Liebe und Marillenknödel

Liebe und Marillenknödel

Titel: Liebe und Marillenknödel
Autoren: Emma Sternberg
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immerhin 85, vielleicht war es auch einfach an der Zeit. Auf alle Fälle musst du dir übermorgen freinehmen, wegen der Beerdigung, und danach ist ja Leichenschmaus und dieser ganze … na ja.«
    Dieser ganze Quatsch wollte sie sagen, das weiß ich genau.
    » Übermorgen? In Südtirol?«
    » Nicht Südtirol, Kindchen«, sagt sie in einem Ton, als hätte ich sie gefragt, ob es tatsächlich stimmt, dass Babys von Störchen geliefert werden. » Wir werden Tante Johanna in Blankenese beerdigen, in unserem Familiengrab. Das Bestattungsunternehmen hat die Überführung schon veranlasst, morgen ist sie da.«
    Und ich ahne schon, wieso. Wahrscheinlich hat Papa ausgerechnet, dass es viel billiger ist, einen Leichnam nach Hamburg transportieren zu lassen, als mit der ganzen Familie nach Brixen zu reisen. Schon bei der Beerdigung von Johannas Mann, Onkel Schorschi, hat er die ganze Reise lang über die irrsinnigen Preise für die Flugtickets gejammert.
    » Aber meinst du nicht, dass sie lieber in Südtirol beerdigt werden würde? In ihrer Heimat? Bei ihrem Mann?«
    » Kindchen. Nur Gott weiß, was Tante Johanna damals geritten hat, ihre Familie zu verlassen, um mit diesem Almöhi ihr Leben zu ruinieren, aber eines ist doch sicher: Ihre Heimat ist immer noch hier in Hamburg.«
    Wenn ich meine Mutter so höre, ahne ich durchaus, was Tante Johanna geritten hat, aber zum Thema Leben ruinieren verkneife ich mir im Augenblick besser jeden Kommentar. Ich will mich gerade verabschieden, da fällt ihr noch etwas ein.
    » Und, Sophie? Bitte zieh dir was Ordentliches an. Nicht wieder so etwas wie dieses sogenannte Kleid von letztens, ja? Marianne wird kommen, Lydia und Helena auch, und ich möchte mich nicht wieder für dich schämen müssen! Hast du gehört, Sophie?«
    Oh, was hätte ich Lust, sie anzubrüllen! Nicht, dass sie das beeindrucken würde, aber das sogenannte Kleid war ein noch im Schlussverkauf sündhaft teures Stück von Martin Margiela, einem Designer, der immerhin schon mal eine Ausstellung im Münchner Haus der Kunst hatte. Ich weiß ganz genau, dass es ihr nur aus einem Grund nicht gefallen hat, weil es ein bisschen wie ein Trainingsanzug aussah, sportlich statt bieder. Meine Mutter findet, dass es auf der Welt nur eine akzeptable Modemarke gibt: Chanel, und zwar die Sachen, die Coco noch persönlich designt hat.
    Statt, wie ich es im Streit mit ihr schon einmal gemacht habe, den Inhalt meines Geschirrschranks Stück für Stück in der Spüle zu zerhauen, schlucke ich meinen Zorn herunter und antworte mit liebenswürdiger Stimme: » Ja, Mama.«
    Als sie aufgelegt hat, lehne ich mich zurück, schließe die Augen und versuche mich daran zu erinnern, welche Atemtechnik Sri Swami Aloo Gobi in Lotus-Atmung für Manager – in ruhigem Rhythmus zum Erfolg für Stresssituationen wie diese empfohlen hat. Leider vergeblich.
    Ach, aber wer macht sich nicht manchmal Gedanken darüber, ob das Verhältnis zu den eigenen Eltern nicht ein Fall für eine Psychotherapie wäre? Eigentlich wäre meine Mutter gar nicht so ein schlimmer Mensch, das Problem ist bloß, dass die Familie für sie das ist, was die Partei für die DDR gewesen ist – sie hat immer recht, und wer sich ihr nicht unterordnet oder sie sogar verrät, hat für alle Zeiten ausgeschissen.
    Arme Tante Johanna, ich hatte sie wirklich gern. Wann war ich das letzte Mal bei ihr oben in Alrein? Das muss bei der Beerdigung von Onkel Schorschi gewesen sein. War das vor drei Jahren? Oder sogar vor vier? Auf alle Fälle muss ich damals schon mit Jan zusammen gewesen sein, denn ich weiß noch ganz genau, dass wir am Abend nach der Beerdigung ziemlich schmutzigen Sex hatten. Ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen, aber ich weiß noch, dass ich hinterher ein furchtbar schlechtes Gewissen hatte.
    Es tut mir in der Seele weh, wenn ich daran denke, dass ich mich nach der Beerdigung, statt mich um Johanna zu kümmern, mit Jan aufs Zimmer verzogen hab. Ausgerechnet mit Jan, diesem Arschloch! Und dass ich sie seitdem kein einziges Mal mehr besucht habe. Dabei wusste ich doch, dass sie zwar unglaublich rüstig, aber eben auch unglaublich alt war.
    Ach, und von wegen besucht – nicht einmal gedacht habe ich an sie. Stattdessen hab ich mich wie verrückt auf meine Arbeit konzentriert.
    Ich fühle mich ganz elend, wie der schlechte Abklatsch einer karrieregeilen Tussi, die nur Sex und Klamotten und ihren Job im Kopf hat. Und das ist jetzt die Strafe, dass ich gar nichts mehr habe, keine Arbeit
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