Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe oder so

Liebe oder so

Titel: Liebe oder so
Autoren: Holger Montag
Vom Netzwerk:
mal dazu durchgerungen hatte, wieso nur wirkte sie gerade jetzt besonders anziehend auf mich? Her rgott, es musste doch möglich sein, mit Anstand auseinander zu gehen!
    Ich füllte den Kaffee in die große Edelstahlkanne, die wir nie benutzt hatten, packte ein paar Tassen und den Kleinkram dazu und trug alles hinüber ins Wohnzi mmer. Sie stand drüben am Ikea-Regal, das wir neu angeschafft hatten, als wir hier eingezogen waren, und betrachtete die Fotos, für die wir immer mal Rahmen hatten kaufen wollen und die nun doch bei jedem Windstoß umfielen.
    „Kannst du gerne mitnehmen“, schlug ich vor und goss den Kaffee ein. Sonja sagte nichts. Sie sah die Fotos noch einmal durch und nahm wieder ihren Platz auf dem Sofa ein. Während sie Milch in ihren Kaffee einrührte, fiel mir auf, dass ich ihr meine Lieblingstasse überlassen hatte, um die wir uns früher immer gestritten hatten, und ich ärgerte mich über mich und den Symbolgehalt dieser Geste.
    „Und sonst, kommst du zurecht?“, fragte sie nach einer Weile die Kaffeekanne.
    „Jaja, alles bestens“, gab ich zurück und beobachtete ihre Hand, die den Henkel der Tasse in die richtige Position rückte, die pure Anmut. Ich hätte nicht mal mit der Wimper gezuckt, wenn die Tasse aufgeglüht hätte.
    Wi r räusperten uns. Das Gestammel war schlimm genug, aber unser Schweigen ging mir auf die Nerven.
    „Du siehst wirklich gut aus.“
    Sonja machte große Augen, damit hatte sie nicht gerechnet. Ojeojeoje, dachte ich. So ähnlich hatte auch damals alles angefangen.
    „Danke.“ Sie nahm schnell noch einen Schluck. Dass sie mir das Kompliment nicht zurückg eben würde, war mir vollkommen klar. Ich wusste ja selbst, dass ich mich in letzter Zeit ein bisschen gehen ließ, unterm Strich war sie doch ein ehrlicher Mensch.
    „Wirklich“, bekräftigte ich, „ich hab mich eben gefragt, was anders an dir ist. Es sind die Haare, nicht wahr?“
    „Ja.“
    „Sie sind... kürzer. Und die Farbe ist auch anders.“
    „Stimmt. Gefällt’s dir?“, fragte sie.
    „Hm, doch. Ist hübsch.“ Nur gut, dass sie die Ehrliche von uns beiden war. Mir jedenfalls hatte die alte Farbe besser gefallen, aber wem hätte diese Aussage genü tzt?
    Wir tauschten noch einige solcher Nettigkeiten aus, dann wurde es Zeit für sie zu gehen. Ich fragte nicht weiter nach, die Tatsache, dass sie bei ihren Eltern wohnte, ber uhigte mich aber etwas. Wenn es einen neuen Mann in ihrem Leben gab, würde sie einige Mühe haben, ihn geheim zu halten.
    „Es war schön, dich wiederzusehen“, sagte Sonja, als ich ihr in den Mantel half. „Vielleicht können wir das ja mal wiederholen, wenn ich eine Wohnung finde.“
    Piek. Da waren sie wieder. Bei der ersten Erwähnung des Themas eigene Wohnung hatte ich die Seitenstiche noch für einen Zufall gehalten. Aber ihre Unverbindlichkeit umgab Sonja wie eine Aura.
    „Gerne.“ Ich reichte ihr die Hand tasche und sah ihr in die Augen. Wir zögerten für eine Sekunde, in der ich ihre Hand hielt, und einem plötzlichen Impuls folgend versuchte ich, sie zu küssen. Doch sie drehte ihr Gesicht zur Seite, ganz wenig nur, aber ausreichend, damit ich begriff. Sie sah genauso betroffen aus wie ich mich fühlte, und keiner von uns sagte ein Wort, als sie durch die Tür verschwand. Ich hätte mich ohrfeigen können, wobei das auch nichts rückgängig gemacht hätte. Das mit dem Coolsein musste ich noch üben, aber ich stand ja auch noch am Anfang.
    Als ich an diesem Abend zu Bett ging, fiel mein Blick auf das Päckchen, das noch immer auf ihrem Nach ttisch lag und das ich ihr eigentlich hatte mitgeben wollen. Ich nahm es und schmiss es ungeöffnet in den Mülleimer.

 
    5
     
    Vier Monate war das jetzt her. Sonja hatte sich nicht mehr bei mir gemeldet, und ich verstand sie nur zu gut. Über meinen Vorstoß hatte ich mich geärgert, aber man kann eben manchmal nicht dem Herzen und dem Verstand folgen. Dabei hätte mir der Verzicht sowohl die Möglichkeit geboten, Größe zu zeigen, als auch klug zu handeln. Insbesondere, weil ich wusste, dass wir so, wie wir nun mal waren, nicht zueinander passten.
    Dennoch, meine schwachen Momente häuften sich in le tzter Zeit dramatisch. Auf Schritt und Tritt fühlte ich mich an schöne Stunden erinnert. Dazu brauchte es nicht viel, ein runtergebranntes Teelicht vielleicht, eine Muschel aus dem Urlaub oder ein Schnappschuss von der Kirmes, wo wir mit Freunden gewesen waren. Und immer wieder kamen mir Plätze und Stellungen in den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher