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Liebe oder so

Liebe oder so

Titel: Liebe oder so
Autoren: Holger Montag
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er besser sein lassen, denn im nächsten Moment hielt der ein Messer in der Hand, weiß der Teufel, wo er das Ding so schnell hergezaubert hatte.
    Das Messer beschrieb einen sauberen Halbkreis vor Christians Brust, als der Mann einen Scheinangriff auf ihn ausführte. Keiner der Anwesenden rührte einen Finger, und für einen Moment herrschte weitgehend Schweigen in dem Raum. Es war genau der Moment, in dem ich mir den Bierkrug vom Nachbartisch schnappte und ihn dem Rothaarigen über den Schädel zog. Christian konnte gerade noch beiseite treten, ehe der Alte der Länge nach hinschlug.
    Es war jetzt richtig still, nur der dämliche Spielautomat le ierte weiter seine Melodie herunter. Mir schien, dass sich jeder im Raum auf einen bestimmten Punkt zu konzentrieren versuchte. Mein eigener Blick hing auf dem Hinterkopf des Kleinen, wo aus einer Platzwunde Blut sickerte. Seine Faust hielt immer noch das Messer umklammert. Er rülpste.
    Christian war der Erste, der sich wieder fing. Ich bekam mit, dass er seine Tasche schnappte und mich am Arm mit sich zog. Im selben Augenblick setzten auch die Geräusche in der Bahnhofskneipe wieder ein. Während ich rückwärts nach draußen taumelte, sah ich den Wirt, der uns irgendwas nachschrie. Ich registrierte, dass ich den Bierkrug immer noch in der Hand hielt, und ich ließ ihn in den nächsten Mülleimer fallen. Erst als wir in den Wagen stiegen, kam ich wieder zu Bewusstsein.
    „Was war das denn für ne Begrüßung?“, stöhnte Chris.
    „Hey, hast du das gesehen?“ Ich war hin und weg von meiner Geistesgegenwart.
    „ Hab ich“, sagte er. „Können wir jetzt losfahren, oder soll ich dir erst noch ein paar Blumen kaufen?“
    „Warum denn so bissig?“, fragte ich. „Könntest dich ja wenigstens mal bei mir bedanken, dass ich dir den Arsch gerettet habe.“
    Er sah mich an, eine, zwei, fünf Sekunden lang.
    „Danke , Sahib. Ich stehe auf ewig in Eurer Schuld. Können wir jetzt los?“
    „Klar .“ Ich startete den Motor.
    Unterwegs fiel mir auf, dass meine Jacke entsetzlich nach Bier stank. Der Krug, den ich mir gegriffen hatte, war noch halbvoll gewesen.
    „Ich glaub, ich hab den Typen übel erwischt“, sagte ich.
    „Stimmt. Er wird nen Mordsschädel haben, wenn er wieder zu sich kommt. Und ne Scheißwut noch dazu.“
    „Meinst du, er ruft die Bullen?“
    „Höchstens der Wirt. Aber wir haben ja kaum ne Stunde vor der Tür rumgestanden, bis alle Dankesreden gehalten waren. In der Zeit konnte ein normaler Mensch unmöglich dein Kennzeichen notieren.“
    Weshalb er mit dem Rothaarigen aneinander geraten war, konnte er mir auch nicht erklären. Ich versuchte mich an unsere letzte Prügelei zu erinnern, das musste Lichtjahre her sein. Überhaupt schienen alle gemeinsamen Erlebnisse weit hinter uns zu liegen. Christian kam mir verändert vor, seltsam fremd.
    Ich hatte ihm in aller Kürze von Sonjas Auszug aus der Wohnung erzählt, und er machte keine Anstalten, weiter nachzuhaken. Dafür würde später noch Zeit sein, wir wollten uns nicht so früh schon den Abend verderben.
    Er selbst sah schlecht aus, aber das wollte ich ihm nicht auf die Nase binden. New York schien ihm nicht zu bekommen. Meiner Ansicht nach vergeudete er ohnehin sein Talent wegen dieses Jobs, in den ihn sein Vater genötigt hatte. Christian war ein begnadeter Zeichner, viel besser, als ich je werden würde.
    Wir hatten uns seinerzeit in einem Kurs für Aktmalerei kennen gelernt, was in meinem Fall eine reine Verzweiflungstat darstellte, um mal wieder eine nackte Frau zu Gesicht zu bekommen. Damals hatte ich nicht den Mumm, es wieder mit einem dieser rätselhaften Wesen aufzunehmen, nachdem der eine oder andere Versuch kläglich gescheitert war. Chris holte mich aus meinem Stimmungstief heraus, so dass es mir am Ende gar nicht mehr so viel ausmachte, dass wir anfangs nur männliche Modelle zugewiesen bekamen. Als man die erste Frau auf uns losließ, hatte ich mich schon wieder so weit im Griff, nicht vor ihr in die Knie zu gehen.
    Das Ganze war vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre her, und wenn ich daran zurückdachte, wurde mir schmerzlich bewusst, wie wenig wir aus unseren Fähigkeiten gemacht hatten. Ich rede jetzt nicht von Frauen, in dem Punkt hätte man uns ebensogut nach dem Mysterium des Unendlichen fragen können. Aber statt den Himmel der Modernen Kunst um zwei glänzende Sterne zu bereichern, jagte Christian auf der Suche nach Absatzmärkten für seine Firma kreuz und quer über den
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