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Liebe oder so

Liebe oder so

Titel: Liebe oder so
Autoren: Holger Montag
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meinten, wir könnten einen Vorsprung gebrauchen.“
    Sie sah verändert aus. Erwachsener , falls man bei ihr überhaupt davon sprechen konnte. Keine Zöpfe, keine Stiefel, keine Ringelsocken. Eigentlich schade.
    „Tja.“ Ich räusperte mich. Das alles überforderte mich ein bisschen. „Dann komm mal rein.“
    „Schön hast du’s hier“, meinte sie und warf im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick in die Zimmer. Das erinnerte mich an ihren ersten Besuch in meiner alten Wohnung, die hatte sie damals sofort auf den Kopf gestellt.
    „Wo hast du die Lampe?“
    „Welche Lampe?“
    „Die Bauhauslampe, du weißt schon.“
    „Ach so, die“, sagte ich, „die hab ich nicht hier. Hab sie zwischengelagert.“
    Ich wollte fragen, ob sie was trinken wolle, aber sie versperrte mir den Weg und besah sich meine Hand.
    „ Schaut übel aus. Hast du Verbandszeug da?“
    Seltsam, Maries Finger fühlten sich trotz der Hitze ganz kühl an. Aber ich erkannte sie wieder.
    „Drüben, im Bad.“
    Sie beträufelte meine Hand mit Jod und legte einen sauberen, festen Verband an. Das gab mir Gelegenheit, sie mit der Marie zu vergleichen, die ich noch dunkel in Erinnerung hatte. Sicher gab es da die eine oder andere Differenz, aber insgesamt waren die beiden sich sehr ähnlich.
    „ Und, wie ist es dir ergangen?“, fragte ich schließlich ins Blaue rein. Selbst wenn sie mich nicht derart überrumpelt hätte, wäre es mir schwer gefallen, ein unverfängliches Gesprächsthema zu finden. Natürlich war ich neugierig, aber eigentlich hatte ich keine große Lust, mir anzuhören, wie toll es für sie lief, seit wir nicht mehr zusammen waren.
    Sie sah mich an, einen Moment nur. Dann widme te sie sich wieder meiner Hand.
    „Das Übliche. Ich hatte diese Woche meine letzte Kla usur, im Spätsommer geht’s weiter. Ich verteil Handzettel in der Fußgängerzone und jobbe immer noch im Studio. Vor kurzem hab ich sogar nen Fitnesskurs geleitet, weil die Lehrerin sich den Fuß verknackst hatte. Ist keinem aufgefallen.“
    „Was ist das für ne Klausur?“
    „Nicht so wichtig, die mach ich mit links. Nächstes Semester wird’s dafür happiger. Ich soll dich übrigens von Helge grüßen, wir sind ihm heute früh an der Tankstelle begegnet.“
    „Danke.“
    „Und ich soll dir ausrichten, sein Kunde sei so begeistert von deinen Icons gewesen, dass er mächtig die Werbetrommel für Helges Agentur gerührt hat.“
    „ Schön. Und was macht Jochen so?“
    Diesmal blieb ihr Blick auf dem Verband. „Keine A hnung, hab ihn nicht mehr gesehen.“ Sie zog den Knoten um mein Handgelenk unnötig fest an. „Bist du eigentlich gegen Tetanus geimpft?“
    „Ich wollte eben nachschauen, als Caro anrief.“
    Gemeinsam suchten wir nach dem Impfpass, jeder eine Kiste mit wichtigen Dokumenten auf den Knien.
    „Hier, ich hab ihn“, sagte Marie. Sie kümmerte sich so souverän um mich, als hätte es nie eine Trennung gegeben und als sei sie nur mal um den Block spaziert. Das Beste aber war die Tatsache, dass ich zu vergessen begann, weshalb ich so sauer auf sie gewesen war und weshalb ich es weiterhin hätte sein sollen. All die Höllen zählten nicht mehr, durch die ich ihretwegen gegangen war, sie waren so unwichtig wie die Zeit, bevor wir uns überhaupt kennen gelernt hatten.
    Sie hielt mir den Impfpass hin, aber ich hatte kein Auge dafür übrig, denn sie waren im Moment beide damit beschäftigt, in denen von Marie zu ertrinken. Nie würde ich erfahren, ob ich mich in Ermangelung einer Tollwutimpfung demnächst in einen Werwolf verwandeln würde. Aber wen juckte das? Der nächste Vollmond war fern, Maries Atem spürte ich dagegen umso näher auf meiner Haut.
    Ich war unfähig, etwas zu tun. Gelähmt. Verzaubert. Paralysiert. Matsch. Am Rande meines Tunnelblicks hoben sich ihre Arme. Wenn sie gerade einen Eispickel aus ihrer Tasche zog, wäre mir das völlig egal gewesen. Stattdessen nahm sie mein Gesicht in die Hände und küsste mich vorsichtig.
    Es wird alles gut, flatterte ein Schriftzug durch meine Gedanken, und ich war versucht, ihm Recht zu geben.
    „Hallo , Seemann“, sagte Marie.
    „ Seemann?“ Das erinnerte mich an früher. „Dann bist du wohl Loreley.“
    „ Loreley?“ Sie lachte. „Gefällt mir. Ist so destruktiv.“
    Noch ein letztes Mal schwamm all der Dreck an meinem inneren Auge vorbei, es war ganz schön was zusammengekommen. Leicht würde es nicht werden, so viel stand schon mal fest. Aber wofür sonst lohnte sich die ganze Plackerei
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