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Liebe oder so

Liebe oder so

Titel: Liebe oder so
Autoren: Holger Montag
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dass sie bei Carlos in guten Händen war, und so vermied ich wenigstens die Gefahr, sie zu einem Altar meiner Erinnerungen zu machen. In diesem Sinne stand die Lampe in einer Linie mit Sonja, Marie und meinem alten Leben.
    In der Mittagspause besorgte ich mit Carolin noch eine Handvoll Regale und Kleinkram im Baumarkt, und am späten Nachmittag konnten wir den Umzug offiziell beenden. Zum Ausp acken und Einräumen würde mir noch Zeit genug bleiben, ich fing erst in vierzehn Tagen beim Verlag an.
    Wir aßen in einem nahe gelegenen Bistro zu Abend, red eten über Vergangenes und bemühten uns, dabei Marie außen vor zu lassen. Ich hatte zwar nur Caro in die Hintergründe unserer Trennung eingeweiht, aber ich spürte, dass die anderen im Großen und Ganzen Bescheid wussten. Morgen würden Carolin, Leo und Matthias wieder dorthin zurückfahren, wo mein altes Leben zwischengelagert war, mit Marie und allem drum und dran. Ich begann schon jetzt, die Dinge zu verklären, Dortmund reizte mich kein Stück.

 
    46
     
    Keine fünf Wochen später passierte es. Ich war gerade mit dem Auspacken der letzten Kisten beschäftigt, als Helene anrief. Sie war derart aufgelöst, dass sie irgendwann den Hörer an Sonja weiterreichen musste.
    „Aber wie ist er denn an das ganze Zeug rangeko mmen?“, fragte ich, als ändere das etwas an den Tatsachen.
    „Wissen wir auch nicht. Wahrscheinlich hat er’s über M onate gesammelt.“
    „Du meinst, er hat das geplant?“
    „Sieht ganz so aus, oder? - Hör mal, ich kann jetzt nicht offen reden… Wir wollten dir nur Bescheid sagen.“
    „Ja, schon gut. Wisst ihr schon, wann die…“ Es fiel mir schwer, es auszusprechen.
    „Freitag Nachmittag. Kannst du denn kommen?“
    „Ich werd’s versuchen“, sagte ich.
    „Gut. Mama wär sicher froh, wenn du kämst.“
    So hatte ich mir meinen ersten Besuch zu Hause nicht vorgestellt. Die ganze Fahrt über schien die Sonne wie zum Trotz, und obwohl ein starker Wind wehte, schwitzte ich in meinem Anzug.
    Ich versuchte, mir Ludwig ins G edächtnis zu rufen, wie er war, bevor er abdrehte. Aber war er damals denn wirklich anders gewesen, nur weil man ihm nichts anmerkte? Vielleicht steckte seine Veranlagung ja in vielen von uns, und manche suchten sich den Moment aus, in dem es Zeit für sie war, der Welt den Rücken zu kehren.
    Nicht mal ein Foto von ihm und Helene besaß ich nach all den Jahren, ich hatte all meine Altbestände danach durchsucht. Sonja würde mir eins besorgen müssen, schließlich waren ihre Eltern auch für mich lange Zeit so etwas wie Familie gewesen.
    Meine Vorgesetzten im Verlag waren großzügig und genehmigten mir angesichts der Umstände den freien Tag, obwohl sich die Arbeit stapelte und mir offiziell während der Probezeit kein Urlaub zustand. Nur Daumenhauer konnte sich eine dumme Bemerkung nicht verkneifen, kein Wunder, dass sein Beliebtheitsgrad gen Null tendierte. Am Ende bekam man es immer mit denselben Typen zu tun, da halfen weder Umzüge noch Jobwechsel.
    Ich war früh gestartet, aber die Beerdigung hatte schon begonnen, als ich eintraf. Der verdreckte Sunbeam entsprach dem traurigen Anlass, ich stellte ihn am Ende des Parkplatzes ab und eilte zu der kleinen Kapelle, in der die Totenmesse gehalten wurde.
    In de n ersten beiden Bänken saßen Helene und ihre Schwestern, Sonja, Richard und einige weitere Verwandte samt Anhang. Dahinter klaffte eine große Lücke, erst in der hinteren Hälfte waren wieder einige Bänke besetzt, auch Carolin war da, aber sie sah nicht zu mir herüber. Der Pastor, der die Andacht hielt, war in voller Fahrt, und um nicht zu stören, blieb ich lieber im Eingangsbereich stehen.
    Helene sah schlecht aus und wirkte im Vergleich zu meinem letzten Besuch um Jahrzehnte gealtert. Ohne zu zögern, schnappte sie sich im Rausgehen meine Hand und ließ sie bis zum Grab nicht mehr los. Die anderen Leute mussten denken, ich sei ihr im Krieg verschollener Sohn oder sowas.
    Die Beisetzung dauerte lange, obwohl der Pastor Ludwig zu Lebzeiten nicht gekannt hatte und dementsprechend wenig Persönliches zu sagen wusste. Lieber erging er sich in seiner Grabrede über Menschen, die ihre Sorgen und Nöte mit sich selbst ausmachen müssten oder so was.
    M ittendrin hielt Helene es nicht mehr aus und zog mich vom Grab weg zu der kleinen Lichtung, an deren Rand ein Komposthaufen mit Grasschnitt und verwelkten Tulpen stand. Es gab auch einen Wasserhahn, ein halbes Dutzend grüner Gießkannen und eine Parkbank.
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