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Liebe oder so

Liebe oder so

Titel: Liebe oder so
Autoren: Holger Montag
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großen Sprung. Die Erde war eine Kugel, die uns immer wieder an den Ausgangspunkt unserer eigenen Unzulänglichkeit zurückführte. Insofern war ich bloß wieder am Anfang angelangt.

 
    3
     
    Ziemlich weit oben auf meiner Liste der Dinge, die einem den Tag nachhaltig versauen können, steht ein Abholschein der Post. Weder ist vermerkt, von wem das Päckchen stammt, noch wie groß es sein mag. Ein Umstand, der mich manches Mal zur Weißglut getrieben hatte, wenn ich es auf dem Heimweg schnell mit dem Fahrrad abholen wollte und es sich als eines von Sonjas überdimensionierten Klamotten- oder Bücherpaketen entpuppte.
    Die Poststelle in meinem Viertel war in einem Zei tschriftenladen untergebracht und wurde von zwei alten ostdeutschen Jungfern betrieben, die in ihrer Jugend vermutlich von einer Karriere bei der Stasi geträumt hatten. Niemals zuvor waren mir solch ausgeprägte Beamtenseelen untergekommen, ich hatte jedes Mal den Horror davor, dass unsere Briefmarken zur Neige gingen, und kaufte sie deshalb bei meinen seltenen Besuchen in dem Laden immer gleich auf Vorrat.
    Ich hatte ausnahmsweise einige Autoteile per Post b estellt und vermutete, dass der Briefträger einfach keine Lust gehabt hatte, das Paket bei meiner Nachbarin abzugeben. Wie dem auch sei, mir blieb nichts anderes übrig, als an meinem freien Tag zu dem Zeitschriftenladen zu pilgern und mich in die ellenlange Warteschlange einzureihen, die kurz hinter der Eingangstür begann.
    Es gab nur einen schmalen Durchgang, durch den sich die abgefertigten Postkunden und die Zeitungskäufer dränge lten, und als ich nach einer Ewigkeit endlich vorne anlangte, versperrte mir ein riesiges „Bitte Abstand halten!“-Schild den Weg. Ich räumte es kurzerhand beiseite und trat vor den Schalter.
    „Ich möchte d as hier abholen. Der Postbote -“
    „Haben Sie Ihren Ausweis dabei?“, unterbrach mich die Alte unhöflich.
    „Was?“
    „Ihren Ausweis - haben Sie ihn dabei?“
    „Ich hab den Abholschein“, sagte ich.
    „Ich darf Ihnen das Paket ohne Ausweis nicht aushä ndigen“, erklärte sie mir.
    „Aber ich hab doch den Abholschein! Und außerdem muss das Ding bar bezahlt werden, meinen Sie, ich würde freiwillig für etwas bezahlen, was ich mir erga unern will?“
    „Haben Sie Ihren Ausweis nun da, ja oder nein?“ Ich merkte schon, die Alte ließ nicht locker. Also kramte ich in meinen Taschen herum und fand wenigstens meine Videothekenkarte.
    „Eigentlich ist das ja kein richtiger Ausweis“, setzte sie an, aber dann sah sie meinen Blick. Ich war kurz davor, ihr an die Gurgel zu springen. „Aber wir wollen nicht päpstlicher sein als der Papst, nicht wahr?“
    Ich schnitt ihr eine Gri masse, und sie tippte meine Daten in ihren Computer ein. Dann verschwand sie in dem angrenzenden Kabuff und kam gleich darauf mit einem winzigen Päckchen zurück.
    „Da haben wir uns wohl geirrt mit dem Barbezahlen, wie? Ich habe nachgeseh en, aber als Zahlungsweise ist per Rechnung angegeben. Bitte sehr!“ Damit knallte sie das Päckchen auf den Tresen und stemmte ihre Fäuste in die Hüften. Eigentlich habe ich nichts dagegen, wenn sich Senioren auf ihre alten Tage noch einmal voll und ganz einer Aufgabe widmen, aber am Postschalter hört der Spaß auf.
    „Was ist das?“, fragte ich.
    „Na, Ihr Päckchen!“
    „Aber ich erwarte ein großes Paket mit Autoteilen .“
    „Tja, das wird dann wohl ein anderes Mal kommen. Das hier ist jedenfalls das Päckchen zu Ihrer Abholkarte.“
    Ich nahm das Ding an mich und studierte das Etikett. Das Päckchen kam von einer Buchhan dlung und war an Sonja adressiert.
    „Ist noch was?“, fragte die Alte ungeduldig.
    „Meine Karte“, sagte ich, ohne aufzusehen.
    „Wie?“
    „Ich hätte gerne meine Videothekenkarte zurück“, wiederholte ich. „Es macht zu viele Umstände, sie jedes Mal neu zu beantragen, nachdem ich einen Brief abgeholt habe.“
    Als ich den Laden verließ, hatte sich die Schlange der Wartenden deutlich verkürzt. Entweder war es den Leuten zu bunt geworden, oder ich hatte mal wieder den ungünstig sten Moment erwischt.
    Zu Hause angekommen, legte ich das Päckchen auf Sonjas Nachttisch. Im Grunde meines Herzens hegte ich noch immer so etwas wie Hoffnung, ohne zu wissen, worauf eigentlich. Einerseits fehlte sie mir schon nach diesen ersten beiden Tagen, andererseits war ich mir inzwischen durchaus der Tatsache bewusst, dass wir heute weniger zueinander passten als je zuvor. Da war nur diese merkwürdige
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