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Liebe oder so

Liebe oder so

Titel: Liebe oder so
Autoren: Holger Montag
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„Ich muss wieder los, bin schon spät dran. Ruf mich an, ja?“
    „ In Ordnung“, sagte ich. Und draußen war sie.
    Den Rest des Tages arbeitete ich mit dem dumpfen G efühl einer bevorstehenden Katastrophe. Sonja und ich hatten uns schon oft gezankt und es gab mit Sicherheit nicht wenige Leute unter unseren Bekannten, die schon immer gewusst hatten, dass wir nicht wirklich zueinander passten. Aber wir hatten uns immer wieder zusammengerauft, und das ganze Drama ging irgendwann von vorne los.
    Diesmal jedoch war es anders, ich spürte es. Der Streit hallte immer noch in meinem Kopf nach, wir waren weit übers Ziel hinausgeschossen. Etwas ging zu Ende mit uns, und wir wussten nicht mal mehr, ob uns das leid tat.
     
    Als ich die Tür aufschloss, war nur noch eine Ahnung ihres Parfüms anwesend, das und ein Zettel, der auf dem Küchentisch neben meinem schmutzigen Frühstücksgeschirr lag und auf dem „Bin bei Doris. Melde mich nächste Woche wegen meiner Sachen.“ stand. Kein Gruß, keine Unterschrift.
    Das war nun doch ein bisschen plötzlich. Und was sollte das überhaupt heißen? Ich hatte sie doch nicht geschl agen oder vergewaltigt, reichte ein Streit denn aus, um das Weite zu suchen? Wieso redeten wir nicht wenigstens darüber? Und wie lange gedachte sie weg zu bleiben? Dachte sie etwa, unsere Probleme lösten sich in Luft auf, indem man mal eben für ein paar Tage auszog?
    Ich griff mir das Telefon und wählte Doris’ Nummer. Sie war unter der „1“ gespeichert, warum hatte mich das nicht schon früher stutzig gemacht? Wahrschei nlich wusste sie längst besser über Sonja und mich Bescheid als ich selbst.
    Am anderen Ende meldete sich eine völlig aufgekratzte Doris, die mich darauf hinwies, dass sie nicht zu Hause sei, und mich bat, nach dem Signalton auf Band zu spr echen. Ich hängte wieder ein.
    I m Stehen aß ich ein paar Nudeln mit Maggi und versuchte, mich mit Radiohören ein bisschen vom Denken fernzuhalten. Aber ich bekam nur zwei Sender rein, die den allerletzten Müll spielten, also gab ich es auf und schaltete den Fernseher ein. Ich war wieder mal zu spät dran für die Hauptfilme und blieb schließlich bei MTV hängen, das Nirvana-Unplugged-Konzert lief zum dreihundertsten Mal.
    „ Melde mich wegen meiner Sachen.“ Mein Blick wanderte im Geiste durch unsere Wohnung. Ab und zu fiel er auf ein paar achtlos hingeworfene Sachen von ihr, einen Strumpf vielleicht oder eines der Sitzkissen, in die sie vernarrt war und auf die sich nie jemand setzen wollte. Ich nahm das alles in mich auf und öffnete dann die Tür zu ihrem gigantischen Kleiderschrank, auf dessen Boden ihre unzähligen Schuhe paarweise aufgereiht standen, als warteten sie vor der Arche Noah auf ihre Verladung. Vermutlich würde sie einen Schwertransporter anmieten müssen für das ganze Zeug, und dabei war ich auf meinem Rundgang noch nicht mal im Bad angelangt.
    Nach Nirvana folgten abrupt mehrere Werbejingles und Elektronikmusik mit quietschbunten Videos, ich schaltete den Ton ab und konzentrierte mich darauf, den Welle nbewegungen der Farben zu folgen. Zum Glück läutete das Telefon, ehe mein Verstand endgültig zu Brei wurde. Es war Jörg.
    „Wie geht’s?“, fragte er.
    „Frag nicht. Und selbst?“
    „Mir geht’s blendend.“ Pause.
    „Herrgott“, sagte ich, „mach’s nicht so spannend! Ich hab nen schweren Tag hinter mir. Hast du deine Oma beerbt, oder heiratest du?“
    „ So ähnlich.“
    „Du hast also wieder ne Frau gefunden, die sich weder von deinem Äußeren noch von deinem Charakter abschrecken lässt?“
    „So ist es.“
    „Glückwunsch! Und...?“
    „Was, und?“, fragte er.
    „Wie heißt sie? Kenn ich sie? Was macht sie? Wie sieht sie aus?“
    Wieder entstand eine Pause.
    „Du bist doch nicht etwa mit nem Kerl zusammen, oder?“, fragte ich.
    „Nein, aber mit Jenny.“
    „Aha.“ Mehr fiel mir zu dem Thema nicht mehr ein. Jörg und Jenny waren schon ein Paar gewesen, bevor wir uns kennen lernten. Im Laufe der Jahre hatte ich vergessen mitzuzählen, wie oft sie ihn verlassen hatte, aber im Gegensatz zu jedem anderen Menschen wollte er einfach nicht akzeptieren, dass so etwas nun mal passierte im Leben. Jedes Mal, wenn ihr neuer Lover das Weite gesucht hatte, kam sie zurück zu Jörg, und jedes Mal, wenn sie ihn satt hatte, kam er zu mir. Ich hatte mich schon oft gefragt, weshalb ausgerechnet ich der Endverbraucher seiner enttäuschten Hoffnungen war. Dass er mich anrief, noch bevor sie ihn
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