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Liebe auf dem Pulverfaß

Liebe auf dem Pulverfaß

Titel: Liebe auf dem Pulverfaß
Autoren: Heinz G. Konsalik
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–«, sagte sie leise. »Wir wohnen in Qnaitra, in Syrien … aber geboren wurde ich in Taibé, am Rande der Golanhöhen –«
    Sie schwiegen beide, starrten über die Menschen in ihrer bunten Badekleidung und wußten im Augenblick keine Worte mehr. Die beiden Schulklassen aus dem Hauptschwimmbecken marschierten unter der Terrasse vorbei zum Ausgang. Sie sangen. »Wer recht mit Freuden wandern will, der geh' der Sonn' entgegen –« Kehat zog die Schultern nach vorn, die fröhlichen Kinderstimmen taten ihm fast körperlich weh.
    »Wir haben wieder etwas gemeinsam«, sagte er rauh. Er erkannte seine Stimme nicht wieder. »Wir sind beide im Grenzgebiet geboren worden. Im Vorfeld, gewissermaßen im Niemandsland. Schicksale, die zwischen den Fronten zermahlen werden. Aber ist das wichtig?«
    »Ich weiß es nicht –«, sagte Amina leise.
    »Ich will Arzt werden, kein Politiker. Wir sind junge Menschen, Amina, eine neue Generation.«
    »Ich arbeite im Büro einer Fluggesellschaft. Bei den El Araab Lines. Oh, warum müssen Sie Jude sein? Gerade Sie?« Sie warf den Kopf herum und gab sich keine Mühe, ihr Gesicht zu beherrschen. »Woher haben Sie die blonden Haare?«
    »Von meiner Großmutter. Sie starb in Theresienstadt, in der Gaskammer. Auch daran will ich nicht mehr denken.« Er tastete nach ihren schmalen Händen, hielt sie fest, als sie sie zurückziehen wollte, und beugte sich wieder über den Tisch vor. »Jetzt müssen wir uns wiedersehen, Amina. Wir haben viel zu besprechen. Soll ich Sie vom Büro abholen?«
    »Nein!« Es war wie ein Aufschrei. Ghazi Muhamed, dachte sie. Er würde schnell erfahren, wer der Mann ist, der auf mich draußen auf der Straße wartet. Sein Haß auf die Israelis ist grenzenlos. Es würde keine Woche dauern, und ich bekäme den Befehl zur Rückkehr nach Damaskus. Die Tochter Safar Murad al Mullahs und ein Jude … das ist, als wenn man Feuer mit Pulver vermählen wollte. »Ich hole Sie von der Universität ab …« Amina zog ihre Hände zurück, die Kellnerin brachte den Kaffee und ein Glas Kognak. »Mein Vater ist Arzt in Qnaitra …«, sagte sie völlig zusammenhanglos.
    »Wir aber leben in Deutschland.« Kehat hob sein Glas. »Köln ist nicht Damaskus oder Tel Aviv –«
    »Was sind Entfernungen oder Namen? Die Gegenwart ist überall –« Sie sah ihn an mit Augen, deren Schwärze noch tiefer geworden war. Kehat hielt den Atem an. Ein nie gekanntes Gefühl durchrann ihn, nahm völlig von ihm Besitz, und er wußte, daß nur so etwas eine Liebe sein konnte, aus der ein Mensch nie mehr herauskam. Es ist, als ob das Herz verbrennt und eine Sonne in der Brust zurückbleibt.
    »Um 19 Uhr am Ausgang III, Südflügel der Universität?« fragte er stockend.
    »Ja.« Sie trank schnell den Kaffee, stand auf und blickte auf ihn herab. »Ich warte –«
    Als sie wegging, sah er ihr nicht nach. Er kämpfte mit dem Feuer in sich, winkte der Kellnerin und sagte: »Noch einen Kognak. Nein, zwei oder drei … ja, auf einmal …« Dann saß er da, dachte an seinen Vater, den Juden Moshe Yonatan, an seine Mutter Rebba und wagte nicht zu denken, was sie sagen würden, wenn er ihnen mitteilte: Ich liebe eine Araberin. Was geht mich die Politik an? Bei Gott, Vater, du bist ein großer Mann, ein geachteter Mann, ein Patriot, ein Freund der Herrschenden, und wäre ich jetzt in Israel, würde ich nach Jerusalem fahren, mich an die Klagemauer stellen und Gott anschreien, warum er uns ein Herz gegeben hat. Auch ich liebe mein Land und mein Volk, aber seit einer Stunde hat sich die Welt verändert.
    Kehat beschloß, sofort zu handeln. Er fuhr zur Hauptpost und gab in hebräischer Sprache ein Telegramm nach Tel Aviv auf. An Prof. Dr. Moshe Yonatan.
    »Vater, ich liebe ein Mädchen. Es heißt Amina und ist aus Syrien. Was soll ich tun …«
    Noch vor 19 Uhr lag eine Blitzantwort aus Tel Aviv vor. Kehat ließ sie sich vom Hausverwalter des Studentenheimes telefonisch durchgeben:
    »Komm sofort zurück, mein Sohn –«
    Kehat legte den Hörer auf. Zum erstenmal in seinem Leben mißachtete er das Patriarchat und wurde ein ungehorsamer Sohn.
    Am Tor III, Südflügel, wartete Amina Murad …
    Qnaitra ist eine Stadt, an der aus den vier Winden vier Straßen zusammenführen. Aus dem Norden von Caesarea, aus dem Osten von Damaskus, vom Süden aus Cheikh Meskine und vom Westen von der israelischen Grenze her, vom Jordan, dem blutigen Fluß. Es ist eine Wüstenstadt, 900 Meter hoch auf einem kahlen Plateau gelegen, umweht vom
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