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Liebe auf dem Pulverfaß

Liebe auf dem Pulverfaß

Titel: Liebe auf dem Pulverfaß
Autoren: Heinz G. Konsalik
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–«, sagte Ghazi und verzog sein Gesicht voller Mißbilligung. »Da treten sie sich wieder gegenseitig in den Hintern und verpassen die besten Chancen. Auf wen soll man hören? O Allah, wenn es doch bei uns weniger Männer gäbe, die so viel zu sagen haben. Sie trampeln einander auf den Zehen herum und vergeuden die Zeit mit Diskussionen, was man machen soll, wenn man etwas macht …«
    Er schloß die Telegramme in einen Panzerschrank, saß dann vor einer elektrischen Kaffeemaschine, sah mit der Gelassenheit des Orientalen zu, wie das kochende Wasser auf das Kaffeemehl tropfte und unten durch den Filter der fertige, starke, fast schwarze Kaffee in die Glaskanne rieselte, dachte an sein Elternhaus in Bethlehem, das am 5. Juni 1967, morgens um vier Uhr, von zwei Panzergranaten israelischer Panzer Typ M 48 mit 90-Millimeter-Kanonen zerfetzt wurde, und zog den Atem zischend durch die Nase. Damals, an diesem 5. Juni, grub er mit bloßen Händen seine Mutter, zwei Schwestern und den Großvater aus den Trümmern und trug sie auf den Schultern, wie geschlachtete Lämmer, zum Marktplatz, wo man die Toten stapelte. Er hatte damals nicht geweint, und als die Toten begraben wurden und der Mullah die Gebete sprach, hatte er stumm an den Gräbern gehockt und auf die einfachen Holzkisten gestarrt, hatte dann den Sand in die Gruben geschaufelt und bei jedem Wurf gesagt: »Ich schwöre euch, ich werde euch rächen … ich werde euch rächen … ich werde euch rächen … Allah sei mein Zeuge … ich werde euch rächen …« Er sprach es dreihundertneunundsiebzigmal, dann waren die Gräber zugeschaufelt, mit Steinen beschwert und Ghazi allein auf der Welt. Zwei Monate später ging er nach Deutschland … ein Vorposten der Revolution, ein Funken der Rache, der überall Feuer entzünden sollte, wo Rache möglich war.
    Ghazi goß sich Kaffee ein, süßte ihn mit einem Löffel Honig, schlürfte das heiße, starke Getränk und betrachtete durch eine kleine Scheibe, die in die Wand zwischen Büro und Schalterhalle der El Araab Lines eingelassen war, die lange Theke und Amina Murad. Sie stand einem deutschen Ehepaar gegenüber, zeigte Prospekte von Beirut, den Ruinen von Baalbek, den herrlichen Bergen des Libanon, den Sandstränden und den Luxushotels entlang der Küste. Deutlich sah Ghazi, wie sie ein großes Buntfoto des Hotels ›Phoenicia‹ zeigte und eine Klappkarte der Höhle von Jeita, der ›Tropfsteinhöhle der tausend Wunder‹.
    Man muß mit ihr sprechen, dachte Ghazi. Es hat keinen Sinn, mit dem Gesicht vor der Wand zu stehen und sich selbst anzuhauchen. Niemand hat gewußt, daß der Sohn Moshe Yonatans in Köln studiert. Da war ein Loch in der Beobachtung, da haben die Agenten versagt … aber nun wissen wir es, und dieses Glück gibt es nur einmal! Sollen wir es durch unnütze Gefühle aus den Händen gleiten lassen? Was sind Gefühle, wenn es um Palästina geht? Die Granaten, die meine Familie auslöschten, hatten auch keine Gefühle, und um die zwei Millionen Flüchtlinge, um die Frauen, Kinder und Greise, die in Baracken oder Zelten leben, in Hütten aus Abfallholz, Pappdeckeln, auseinandergeschnittenen Ölfässern und Wolldecken, kümmert sich auch kein Gefühl. Wer kennt dieses Elend der Vertriebenen? Wer hat mit ihnen in den Erdhöhlen gehaust? Wer hat gesehen, wie die Kinder im Staub geboren werden, auf einer Unterlage aus Zeitungen? Wer hat gesehen, wie die verhungernden hohläugigen Frauen und Kinder stundenlang vor den Verpflegungswagen der UNO Schlange standen, um eine Tasse voll Milchpulver, eine Konservenbüchse voll Maismehl oder einen Löffel Bohnensuppe zu bekommen? O Allah, wer redet da noch von Gefühlen?
    Ghazi griff zum Telefon und meldete ein Gespräch nach Damaskus an. Er wunderte sich, wie schnell es ging … schon nach der dritten Tasse Kaffee klingelte das Telefon, und die tiefe Stimme von Husan Abd Yunis meldete sich.
    »Ich sitze hier wie ein Kamel vor einem leeren Wasserloch«, sagte Ghazi. Er hielt sich mit langen Begrüßungsformeln nicht auf. »Wem soll ich nun gehorchen. Safar oder dir, Husan?«
    »Wir warten auf Instruktionen des Großen Rates, Ghazi.« Auch in Damaskus ist man nicht gewillt, die Verantwortung allein zu tragen, dachte Ghazi bitter. Jetzt starren sie alle nach Beirut, nach Kairo, nach Amman und Bagdad. Ist dieser Moshe Yonatan der Nabel der Welt?
    »Wann kommen die Instruktionen?« fragte Ghazi mit einem deutlichen Unterton von Verachtung.
    »Wir tagen …«
    »Und wenn man
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