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Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Titel: Kindspech: Tannenbergs achter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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Samstag, 3. August
    Dass ausgerechnet mir altem Knacker noch mal so was Verrücktes passiert, dachte Tannenberg. Nie und nimmer hätte ich das für möglich gehalten.
    Er seufzte tief.
    Ja, meine liebe Lea, ich habe mich verknallt, und zwar bis über beide Ohren. Ich fühle mich wie damals, als ich vor dem Burggymnasium stand und mit klopfendem Herzen auf dich gewartet habe. Mensch, Lea, nie hätte ich geglaubt, dass ich mich nach deinem Tod noch einmal richtig verlieben könnte.
    Und jetzt hat’s mich total erwischt.
    Ich weiß, dass ich dir gegenüber kein schlechtes Gewissen zu haben brauche. Du hast oft genug zu mir gesagt: Wolf, du darfst auf Dauer nicht allein bleiben. Such dir eine neue Partnerin und werde mit ihr glücklich. Ich wünsche es dir von ganzem Herzen. Er seufzte abermals. Ja, genau das waren deine Worte.
    Er schluckte hart, während er sich die Feuchte aus den Augenwinkeln wischte. Sein verklärter Blick fiel auf die schlafende Frau neben ihm.
    Den Kopf auf ein weinrotes 1. FCK-Kissen gebettet, lag sie auf der Seite und schien ihn anzulächeln. Sie atmete ruhig und gleichmäßig. Zärtlich streichelten seine Augen jeden Quadratzentimeter ihres bildhübschen Gesichts. Sein Blick hakte sich an ihrem Ohrläppchen fest, wo ein silberner Ohrring baumelte. Ein Geschenk von ihm, gestern überreicht mit einem Strauß roter Rosen. Er bewegte den Kopf ein wenig zu ihr hin, schloss die Augen und sog genüsslich ihren verführerischen Körperduft ein.
    Mann, oh Mann, was für eine Traumfrau!
    Von wegen Traum! Kapier’s doch endlich, alter Junge: Es ist kein Traum! Sie liegt wirklich in deinem Bett. Und liebt dich über alles – hat sie jedenfalls gestern Abend behauptet. Was für ein Wahnsinn!
    Wie aus dem Nichts wurde er von Schwermut heimgesucht. Bekümmert kniff er die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und atmete ein paar Mal schwer.
    Aber sie ist gut fünfzehn Jahre jünger als ich. Ein enormer Altersunterschied. Ob so was überhaupt gutgehen kann? – Ach, was soll’s, egal wie’s kommt, genieß einfach die Zeit mit ihr. Wie hat unser Lateinlehrer immer gesagt: carpe diem! Also auf, pflücke den Tag! Besonders den heutigen, schließlich hast du Geburtstag. Und fünfzig wird man nur einmal im Leben.
    Vorsichtig umfasste er ihren Arm und zog ihn von seiner Schulter. Sie gab einen wohligen Grunzlaut von sich, drehte sich auf die andere Seite, doch erwachte nicht. Wolfram Tannenberg erhob sich nahezu geräuschlos und schlich ins Bad. Dort erledigte er die obligaten Körperpflegemaßnahmen und kleidete sich an.
    Dann kehrte er zurück ins Schlafzimmer. Er kniete vor dem Doppelbett nieder und bestaunte Johanna von Hoheneck wie das siebte Weltwunder. Während er versuchte, die aufschreienden Schmerzen in seinem linken Knie durch eine Positionsänderung zu minimieren, murmelte sie im Schlaf irgendetwas Unverständliches vor sich hin.
    Und wenn sie jetzt sagen würde, dass sie mich gestern Abend angelogen hat und mich gar nicht liebt?, schoss ein greller Blitz durch seinen Kopf. Was wäre, wenn sie jetzt den Namen eines anderen Mannes murmeln würde? Vielleicht gibt es ja einen anderen. Einer, von dem ich nichts weiß. Noch nichts weiß. Und zwar deshalb, weil sie sich bisher noch nicht getraut hat, es mir zu sagen. Womöglich ist das einer, nach dem sie sich total sehnt, den sie aber nicht kriegen kann. Vielleicht, weil der Kerl verheiratet ist oder sich nicht von seinen Kindern trennen will.
    Blinzelnd schlug Johanna die Augen auf und lächelte ihn versonnen an. »Du bist ja schon wach – und sogar angezogen.« Sie runzelte die Stirn. »Was machst du denn da eigentlich?«
    »Ach, mir ist nur meine Uhr runtergefallen.«
     
    »Da ist ja unser Geburtstagskind«, begrüßte Margot Tannenberg ihren jüngsten Sohn, als er in der elterlichen Wohnküche erschien. Sie umarmte ihn und drückte ihn ganz fest an sich. »Alles Liebe und Gute zu deinem Geburtstag, mein lieber Wolfi.« Tränen schossen ihr in die Augen. Schniefend ergänzte sie: »Heute vor fünfzig Jahren war’s genauso heiß wie heute, gell, Jacob?«
    Der Senior ließ die Pfälzische Allgemeine Zeitung auf die Tischplatte niedersinken und streckte seinem Sohn die Hand entgegen. »Gratulation zum Bergfest, Herr Hauptkommissar«, grummelte er.
    Tannenberg ergriff die stark behaarte, faltige Männerhand. »Danke, Vater. Aber wieso Bergfest?«
    »Weil’s von jetzt an nur noch bergab geht – bis zum Friedhof.«
    Wolfram Tannenberg kommentierte
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