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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf einem Bahnsteig, und der Zug ist abgefahren. Sie sehen nur noch in der Ferne die Rauchwolke, und vielleicht pfeift er auch noch. Wollen Sie ihm nachlaufen?«
    »Nein, aber ich nehme den nächsten Zug.«
    »Das soll ein Wort sein.« Kallberg trank einen Schluck Wein und hielt das andere Glas immer noch Bodmar hin. »Ich werde Oberst von Braun unterrichten, ich verspreche es Ihnen. Braun ist der Mann, der Ihnen helfen kann. Er wird die Möglichkeit schaffen, daß man Ihnen einen anderen Paß ausstellt. Als Peter Schmitz und dann als Hans Mayer und später als Willi Lehmann werden Sie nach Rußland reisen können, als biederer Tourist, so wie Sie jetzt unter meinem Namen ausreisen, und vielleicht wird es Ihnen gelingen, Njuscha wiederzusehen. Die Strecke Wolgograd – Perjekopsskaja kennen Sie ja jetzt genau. Ich verspreche es Ihnen, Bodmar … und nun trinken Sie und spülen endlich die Galle hinunter, die Ihnen im Mund liegt …«
    Bodmar schüttelte den Kopf. Aber er steckte die Pistole ein und verließ wortlos das Zimmer. Er kapitulierte. Er streckte die Waffen vor dem Heer aus Sinnlosigkeiten und Irrtümern, dem er gegenüberstand. Die Russen jagten ihn, und es wäre vergebliche Mühe gewesen, ihnen die Zusammenhänge zu erklären … ein so schönes Opfer wurde ihnen nicht so schnell wieder serviert. Die eigenen Deutschen benutzten ihn als Austauschobjekt, im zwielichtigen Krieg der Geheimdienste war er so viel wert geworden wie eine gewonnene Schlacht. Man zerrieb ihn, rücksichtslos, ohne Erbarmen.
    Stundenlang irrte Bodmar durch die Stadt. Zu Fuß, mit dem Bus, mit der Straßenbahn durchstreifte er Wolgograd, mit leeren Augen und dem taumelnden Schritt eines Fieberkranken. Er saß an der Wolga auf den weißen Bänken, wo er mit Njuscha über den Fluß geblickt hatte, hinüber zu den weiten, flachen Ufern, an denen schon die Steppen Kasakstans begannen; er wanderte an der Wolga entlang und verstand die russischen Emigranten, die bei dem Wort Rußland die Hände vor die Augen schlugen und weinten; er stand oben auf dem Mamajew-Hügel, unter der turmhohen Siegesgöttin mit dem hochgereckten Schwert, und blickte über die Steppe und zu den neuen Dörfern und wieder zurück über die Stadt, und zwischen Pitomnik und Wolga war einmal sein Vater über diese Erde gekrochen, bis Granaten ihn zerfetzten oder der Eiswind ihn erstarren ließ. Auch ihn hatten ›höhere Ziele‹ vernichtet, auch er war geopfert worden, und mit ihm noch 230.000 andere Blinde. Bis heute nennt man sie ›Helden‹. Warum schreit man nicht die Wahrheit hinaus?
    Er lief durch die Stadt wie ein Geblendeter. Am Abend torkelte er, stützte sich an den Hauswänden, lehnte sich an Lampensäulen und stierte ins Leere. Spaziergänger riefen ihn an, lachten ihn aus oder gaben ihm gute Ratschläge.
    »Mehr Zwiebeln mußt du vor dem Wodka essen, Brüderchen«, schrie ein alter Mann unter dem Gelächter der Herumstehenden. Und ein anderer meinte: »Wenn du die Brust 'rausdrückst und den Kopf nach hinten wirfst, gehst du immer gerade, Genosse.«
    Bodmar lächelte schwach, wie ein harmloser Idiot, und man ließ ihn in Frieden weitertaumeln, denn Idioten bleiben in Rußland von jeher unbehelligt. Am Abend erschien er wieder im Hotel, und es gab einen Auflauf in der Halle, weil drei Pagen und der Portier die stinkende Wanze entfernen wollten. Reiseleiter Heppenrath bereitete es große Mühe, allen zu erklären, hier handle es sich um seinen Reisegast Peter Kallberg, der sich offensichtlich bei einem Alleingang durch Wolgograd betrunken habe. Dann brachte er Bodmar auf Kallbergs Zimmer und stieß ihn in einen der Sessel.
    »Sind Sie verrückt?« schnaubte Heppenrath. »Wollen Sie uns alle hochgehen lassen? Aufsehen ist genau das, was wir nicht gebrauchen können. Was ist bloß mit Ihnen los?«
    »Das ist die Freude –«, sagte Bodmar wie betrunken. Dann ergriff er den Aschenbecher und warf ihn gegen die Wand. »Die Freude, nach Hause zu kommen!« schrie er heiser. »Ich platze vor Heimweh! Ich verzehre mich nach meinem geliebten, schönen, vaterländischen Deutschland –«
    Heppenrath schwieg und stand hilflos herum. Aus dem Badezimmer kam Kallberg und winkte ab. Er sah völlig verändert aus. Die Haare waren schwarz gefärbt und gelockt, über der Lippe wippte ein schmales Bärtchen, das die Kaukasier mit dem gleichen fast weltanschaulichen Ernst pflegen wie die Südfranzosen. »Lassen Sie ihn«, sagte er. »Er hat sich freigeschwommen … das strengt
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