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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Brief zusammen und steckte ihn in seinen Rock, als sei er zerbrechlich wie dünnstes Glas. Eine wundervolle Ruhe war über ihn gekommen. Ich bin in Rußland geblieben, dachte er. Ich werde als Kind im sandigen Ufer des Don spielen, und ich werde baden in der schilfigen Bucht, auf kleinen, schnellen Pferden über die Steppe reiten und vom Baum im Garten die Kirschen schlagen. Ich werde neben Njuscha in der Sonne liegen und mit ihr die Felder pflügen, ich werde immer bei ihr sein, im Schlaf nach ihrer Hand tasten und das Glück kennen, sie atmen zu hören … ich werde neben ihr die Kühe auf die Weide treiben und in einem flachen Boot über den Don rudern und von den Fischern lernen, wie man in Reusen Fische fängt. Und ich werde Fedja heißen oder Katjenka, aber ich werde ich sein, denn in ihnen lebt meine ganze Seele. Ist das nicht ein Wunder? Sagt … es ist ein Wunder.
    Unter ihm glitt die Steppe dahin, goldbraun, durchsetzt mit den Tupfen der Dörfer. Über die Wege krochen die Fuhrwerke, eine Schafherde wirbelte Staubwolken auf. Es war heiß. Sommer am Don. Das Gras war hart wie Pfeilspitzen.
    Er schrak auf, als er neben sich eine Stimme hörte. Erst bei der Wiederholung verstand er die Frage der freundlichen Stewardeß.
    »Möchten Sie etwas trinken?«
    »Nein, danke.« Bodmar wischte sich über die Augen. »Wie fliegen wir eigentlich?«
    »Direkt nach München, mit Zwischenlandungen in Budapest und Prag.«
    »Budapest. Das ist gut.«
    Die sowjetische Stewardeß lächelte charmant. »Es ist westdeutschen Reisenden nicht erlaubt, die Maschine zu verlassen. Haben Sie noch einen Wunsch, Gospodin?«
    »Danke. Nein. Ich habe keinen Wunsch mehr.« Bodmar faltete die Hände und wandte sich ab zum Fenster.
    Heute abend landen wir in München, dachte er. Ich werde ein Fremder in Deutschland sein –
    *
    Der alte Babukin holte Njuscha vom Bahnhof Logowskij mit dem Wagen ab. Er wartete schon drei Stunden und vertrieb sich die Zeit damit, den Stationsvorsteher zu beleidigen. Sie standen wie Kampfhähne voreinander, mit gesträubten Haaren, und waren drauf und dran, sich zu zerfleischen, als der Zug aus der Ferne pfiff und der Dienst sie trennte.
    Babukin fragte nicht lange, als er Njuscha umarmte … er küßte sie auf die Wangen, führte sie vom Bahnsteig, hob sie in den Leiterwagen und schwang sich auf den Bock. Als sie durch die Steppe fuhren, begann er plötzlich zu singen … er riß den Mund auf und warf den Kopf in den Nacken und grölte mit seiner brüchigen Greisenstimme die alten Kosakenlieder. Njuscha lächelte dankbar. Guter Alter, dachte sie. Die Seele schreist du dir aus dem Leib, um mich aufzuheitern. Auch Väterchen sang diese Lieder immer, wenn er zwei Gläser Wodka zuviel getrunken hatte und aus Angst vor Evtimia, seinem Weibchen, in der Küche hocken blieb. Dann brüllte er die Lieder und war glücklich. Wer bringt es schon übers Herz, einem so fröhlich singenden Mann ein Holzscheit übers Haupt zu schlagen?
    Am Don zog ein Gewitter auf. Schwarze Wolkenballen trieben über die Steppe, es roch nach Brand, und dann öffnete sich der Himmel und goß wie mit Eimern das Wasser auf die Erde.
    Babukin und Njuscha hockten im Wagen und hatten eine Plane über sich gezogen. Aber der Regen verschonte sie nicht, der Wind trieb die schweren Tropfen schräg zu ihnen hinein und peitschte ihnen das Gesicht. Und das war gut so, denn so sah man nicht, wie Njuscha weinte, die Hände gegen ihren Leib drückte und an das Flugzeug dachte, das silberglänzend im blauen Himmel verschwunden war.
    Eine Stunde später schien wieder die Sonne. Die Steppe dampfte, und es roch nach neuem Leben. Der Wagen rasselte durch das naßglänzende Gras, die beiden Pferdchen schnaubten und warfen die Köpfe hoch … »Sie riechen den Stall«, sagte Babukin. »Haha, jetzt werden die Zicklein munter!« Und dann schob sich der rosa bemalte Kirchturm über den Horizont, die Säule des stählernen Silos blinkte in der Sonne, das rote Dach des Parteihauses leuchtete gegen das Blau des Himmels, und Babukin richtete sich auf, stemmte die Beine gegen das Fußbrett des Kutschbocks, riß seine alte verrostete Pistole aus dem Gürtel und schoß in die Luft.
    Von Perjekopsskaja näherte sich eine weit auseinandergezogene Kette von Reitern. Sie standen in den Bügeln und schwenkten ihre Säbel. Ihre Stimmen flogen wie Gesang über die Steppe.
    Die Kosaken holten Njuscha heim an den Don.
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